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Europas schwierige Mission im Nahen Osten

Von Felix Neugart - Auszug aus dem Strategiepapier zu den Kronberger Gesprächen 2006

Bertelsmann Stiftung und C·A·P fördern seit langem den Dialog im Nahen Osten. Dazu lädt die Bertelsmann Stiftung einmal im Jahr hochrangige Politiker, Unternehmer und Fachleute aus aller Welt ein, die in Kronberg im Taunus miteinander streiten und nach Lösungen suchen. Die 10. Kronberger Gespräche fanden vom 14. bis 15. Juli statt. Das Strategiepapier für das Treffen schrieb Felix Neugart von der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik am C·A·P. Der dokumentierte Text ist ein Auszug aus dem Strategiepapier, das bei den Gesprächen debattiert wurde.

18.07.2006 · Frankfurter Rundschau



Die Förderung von demokratischer Partizipation an Entscheidungsprozessen und gutem Regierungshandeln in den Mittelmeer-Staaten hat sich trotz zahlreicher rhetorischer Bekräftigungen als dorniges Terrain erwiesen. Die EU hat Reformen im Rahmen der euro-mediterranen Partnerschaft (EMP) gefördert, die den Aufbau eines Raums von Frieden und Stabilität und einer Freihandelszone im Mittelmeerraum anstrebt. Zu diesem Zweck hat die EU Assoziierungsabkommen mit allen Partnerstaaten des Mittelmeerraums (mit der Ausnahme Syriens) geschlossen, die Freihandel für industrielle Produkte nach einer Übergangsperiode vorsehen. Die Zehnjahresbilanz der Partnerschaft fällt jedoch ernüchternd aus.

Die Partnerschaft vermochte ungeachtet der Schaffung eines beträchtlichen institutionellen Apparates weder eine regionale Sicherheitsstruktur herzustellen noch hat sie einen breiten politischen Reformprozess in den Partnerstaaten auslösen können. Die Ursachen für die fehlende Erfolgsbilanz liegen auf der einen Seite in der mangelnden Umsetzung getroffener Vereinbarungen durch die Partnerstaaten und der Bremswirkung regionaler Konflikte. Auf der anderen Seite haben sich die duale Kompetenzstruktur und die defizitäre Akteursqualität der EU als Hemmnisse erwiesen. Das mangelnde Interesse der Partnerstaaten manifestierte sich auf dem zehnten Jubiläumsgipfel in Barcelona Ende 2005, als die meisten Staats- und Regierungschefs des Südens fehlten. Es kann sogar argumentiert werden, dass die EMP derzeit unter den gleichen Problemen leidet wie bei ihrer Gründung.

Die euro-mediterrane Partnerschaft wird durch die zunächst parallel angelegte europäische Nachbarschaftspolitik ergänzt, die die Schaffung eines Ringes von stabilen und prosperierenden Nachbarstaaten anstrebt. Diesen Staaten wird eine privilegierte Partnerschaft auf der Basis von "Aktionsplänen" angeboten, die detaillierte Verpflichtungen und Zielvorstellungen in der Kooperation mit dem jeweiligen Partnerstaat enthalten, auf deren Basis Fortschritte in verschiedenen Bereichen bewertbar gemacht und positiv konditionalisiert werden sollen. Dieses auf positiver Konditionalisierung beruhende "benchmarking" im Rahmen der Nachbarschaftspolitik verspricht im Vergleich mit der bisherigen euro-mediterranen Praxis eine erhebliche Differenzierung und Flexibilisierung des Ansatzes gegenüber den Partnerstaaten.(…)

Die mit den Partnerstaaten vereinbarten Aktionspläne listen eine große Bandbreite von kooperativen Aktivitäten in verschiedenen Bereichen auf und enthalten neben eher allgemeinen Vorgaben auch sehr konkrete, von den Partnerstaaten zu implementierende Maßnahmen. Die parallele Umsetzung der gesamten Agenda ist eine echte Herausforderung für die Partnerstaaten; Prioritäten müssen notwendigerweise erfolgen. Die angebotenen Gegenleistungen der EU für die Implementierung dieses Arbeitsprogramms werden jedoch jenseits allgemein gehaltener Aussagen nicht spezifiziert. Eine direkte Verknüpfung zwischen der Erfüllung von Teilvorgaben des Arbeitsplans und attraktiven Angeboten der EU würde die angestrebte positive Konditionalisierung des Programms erleichtern.

Die von den Vereinigten Staaten initiierte Broader Middle East and North Africa-Initiative der G 8 ist zusätzlich zu dem ein Jahrzehnt alten europäischen Engagement ins Leben gerufen worden. (…) Die Initiative basiert auf einer gemeinsamen Vision, aber ihr fehlt eine durchdachte Strategie, wie diese Ziele zu erreichen sind. Das Ergebnis ist eine Kette von kaum aufeinander bezogenen Projekten in verschiedenen Feldern ohne einen überzeugenden gemeinsamen Ansatz. Die Initiative gleicht mehr einem Instrument für die Bearbeitung transatlantischer Differenzen als einer genuinen Regionalstrategie.

Die Initiative wurde in der Region mit großer Skepsis aufgenommen, da sie regionalen Belangen wie dem arabisch-israelischen Konflikt wenig Beachtung schenkt. Eine erste Version, die mit keinem regionalen Staat abgesprochen war, wurde an die arabische Presse weitergegeben und löste eine Welle von Protesten aus. Obwohl der ursprüngliche Ansatz aufgeweicht wurde, hat die kontroverse Rolle der Vereinigten Staaten der Glaubwürdigkeit des Projektes geschadet. Den Amerikanern wird generell unterstellt, aus eigennützigen Machtinteressen zu handeln und nicht für eine bessere Zukunft der Völker der Region zu wirken. Reformern wird vorgeworfen, einer geheimen Agenda zu dienen und sich in die inneren Angelegenheiten von Staaten einzumischen, um die angebliche amerikanische Kontrolle der Region auszubauen. Die Tendenz von Offiziellen der amerikanischen Regierung, den USA kritisch gegenüberstehenden Staaten als "Außenposten der Diktatur" zu brandmarken, während befreundete, aber nicht weniger autokratische Staaten nicht kritisiert werden, ist nicht hilfreich. Das Desaster im Irak hat dem amerikanischen Ruf in der Region geschadet. Die Förderung der Demokratie wird nun als verdeckte Version des Regimewechsels durch militärisches Eingreifen betrachtet. Die Situation im Irak wird benutzt, um Demokratisierung mit Anarchie und Bürgerkrieg gleichzusetzen und dient als Ausrede für die unbefristete Verschiebung von Reformvorhaben.

Von Beginn an hat die Initiative unter einem inhärenten Zielkonflikt zwischen der Sicherheitspolitik, insbesondere der Kampf gegen den Terrorismus, und der Unterstützung für Demokratie gelitten. Die Kooperation mit autokratischen Regierungen und die Interaktion mit "subversiven" Gruppen der Zivilgesellschaft zur selben Zeit haben sich als schwierige Herausforderung erwiesen. Die illegale Behandlung von Gefangenen in Guantanamo und den verschiedenen Haftanstalten im Irak und Afghanistan hat zu diesem negativen Bild beigetragen.

Ausgangspunkt für die Demokratisierung der Region muss ohne den Rückgriff auf einfache Schablonen überdacht werden. Die Einflussmöglichkeiten von externer Demokratieunterstützung sind eindeutig sehr begrenzt. Der indirekte und stufenweise Ansatz der Europäer, der über ein Jahrzehnt den Barcelona-Prozess geprägt hat, ist weitgehend ohne greifbare Ergebnisse geblieben. Doch die unverblümte Rhetorik der von den USA geführten Broader Middle East and North Africa-Initiative und der Versuch der Demokratisierung des Irak durch eine militärische Invasion hat mit den Völkern der Region die wichtigsten Nutznießer der Demokratie entfremdet. Ein anspruchsvoller Ansatz müsste die Attraktivität des europäischen Ansatzes mit der amerikanischen Durchsetzungsfähigkeit von politischen Reformen verbinden.

Es gibt jedoch keine Universalstrategie. Ein differenzierter Ansatz für die spezifischen Probleme in einzelnen Ländern wird benötigt. Der Sieg der Hamas in den palästinensischen Wahlen hat die Gefahren einer vom regionalen Kontext losgelösten Demokratisierung aufgezeigt. Eine weitgehend freie und fairere Wahl hat eine Regierung hervorgebracht, die etablierte internationale Normen zurückweist. Dies schürt die Überzeugung, dass der Westen nur auf der demokratischen Auswahl der politischen Führung besteht, wenn akzeptable Persönlichkeiten gewählt werden. Demokratisierung darf nicht auf die Durchführung von freien und fairen Wahlen reduziert werden. Verfrühte Wahlen in ethnisch gespaltenen Gesellschaften können zu Instabilität führen, wenn die nationale Identität schwach ist und ethno-religiöse Trennlinien mobilisiert werden. Bestehende Unterstützungsleistungen sollten besser koordiniert werden, um eine effiziente Verteilung der knappen Ressourcen zu ermöglichen.

Das erste Ziel sollte die Stärkung der Fundamente der Demokratie sein, insbesondere die Förderung der nationalen Integration, die Entwicklung der Medien, die Schaffung von Rahmenbedingungen für kollektives Handeln und der Ausbau des Rechtsstaates. In einem zweiten Schritt sollte der politische Kern der Machtbeziehungen ins Zentrum rücken, vor allem durch Unterstützung für den Aufbau von politischen Parteien mit Massenanhang, Steigerung des Wettbewerbscharakters von Wahlen und die Forderung nach wachsendem Einfluss von Parlamenten und Gerichten. In diesem Kontext wird die Zusammenarbeit mit Organisationen des islamistischen Mainstream unumgänglich sein. Liberale Organisationen nach westlichem Vorbild bestehen in der Region gewöhnlich nur aus einzelnen Persönlichkeiten ohne großen Anhang. Die Parteien des islamistischen Mainstream sind die einzigen Oppositionsorganisationen mit einer echten Massenbasis. Obwohl Unsicherheiten im Bezug auf ihre sich entwickelnden Positionen zu Bürgerrechten und Minderheitenschutz bestehen, ist deutlich, dass moderate Strömungen die Teilnahme am politischen Prozess befürworten. Da Demokratie definitionsgemäß Massenbeteiligung erfordert, gibt es keine Alternative zu einer vorsichtigen Einbeziehung dieser Gruppen.

Schließlich besteht die dringende Notwendigkeit, die Bewohner der Region anzusprechen, die wenig Vertrauen in die Absichten des Westens haben. Es sollte klar gemacht werden, dass die Unterstützung der Demokratie nicht die ausländische Kontrolle innerer Angelegenheiten zum Ziel hat, sondern die Macht in die Hände des Volkes legt. Existierende Unterstützungsmechanismen sollten größere Partizipation ermöglichen, und das Prinzip der Teilhabe könnte in klassischen Entwicklungsprojekten wie etwa dem Wassermanagement operationalisiert werden. Regionale Belange sind ernst zu nehmen. Der arabisch-israelische Konflikt sollte nicht zur Bedingung für Fortschritte bei der Lösung regionaler Probleme herhalten. Da die Araber diesen Konflikt sehr emotional betrachten und viele Palästinenser und Israelis um die Existenz ihrer Völker bangen, muss die internationale Staatengemeinschaft immer wieder positive Ansätze zur Lösung des Nahost-Konfliktes finden und anbieten.


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