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"Erfolgreich, aber reformbedürftig"

Am Samstag feiert die CSU ihr 60jähriges Bestehen - eine Analyse von Dr. Andreas Kießling

28.11.2005 · DIE WELT



Bayern und die CSU scheinen eine symbiotische Beziehung eingegangen zu sein. Die Partei regiert den Freistaat fast ununterbrochen. Dabei waren die CSU-Mehrheiten in den ersten Nachkriegsjahren keineswegs gottgegeben. Nicht nur, daß heftige parteiinterne Flügelkämpfe fast zur Spaltung führten, vielmehr wurde die CSU durch die Konkurrenz der Bayernpartei 1950 unter 30 Prozent gedrückt.

Zum wesentlichen Bestandteil des CSU-Erfolgsrezepts wurde dann aber die Verbindung von Fortschritt und Tradition unter Parteichef Seidel (1955-1961). Einerseits leitete er eine Professionalisierung der Parteistrukturen ein. Andererseits steht die CSU seither für die ökonomische Modernisierung Bayerns. Trotz bestehender Probleme wird der wirtschaftliche Aufstieg eng mit ihr verknüpft. Gleichzeitig wurden die Konflikte zwischen den innerbayerischen Traditionsräumen (Altbayern, Franken, Schwaben) entpolitisiert und dafür ein staatsbayerisches Selbstverständnis politisiert. Die ausgeprägte regionale Identität wirkt weiterhin stabilisierend für die CSU als die Interessenvertreterin des Freistaats.

Zu letzterem konnte sie aber nur werden, weil sie sich nie als rein bayerische Partei definierte. Lange Zeit verkörperte Strauß den bundespolitischen Anspruch, der bis heute durch die CSU-Landesgruppe im Bundestag repräsentiert wird. Die parteipolitische Eigenständigkeit der CSU vergrößert dabei nicht nur ihren strategischen Aktionsradius. Sie kann sich dadurch auch von ihren innerbayerischen Gegnern abheben, die als Landesverbände bundesweiter Parteien, auch medial, weit weniger Aufmerksamkeit bekommen.

Wahlsoziologisch betrachtet gereichen der CSU zudem der hohe Katholikenanteil und die ländliche Siedlungsstruktur Bayerns zum Vorteil. Darüber hinaus gelang es ihr, klassische Themen anderer Parteien zu besetzen. Zum Leidwesen der SPD präsentierte sich die CSU als "Partei der kleinen Leute", mit der Privatisierungspolitik entzog sie der FDP ein wichtiges Feld. Einzig die Grünen sind in ökologischen Fragen als programmatisch profilierte Oppositionspartei zu erkennen.

Schließlich ist die CSU ein "Netzwerk der Macht". Sie verfügt nicht nur auf Landesebene über umfangreiche Ressourcen, sondern vor allem ihre "Grasverwurzelung", das heißt die enge Verwebung mit Vereinen und Verbänden, ist ein Grundpfeiler ihrer Stellung. Der kommunalen Basis und den Landtagsabgeordneten kommt hier die wichtige Funktion eines Transmissionsriemens zu: Sie kommunizieren die CSU-Politik an gesellschaftliche Multiplikatoren und sorgen gleichzeitig für eine Rückkoppelung zur Spitze. Die CSU ist also heute fest in der politischen Kultur Bayerns verankert.

Allerdings ist eine Flexibilisierung des Wählerverhaltens auch im Freistaat zu beobachten. Die potentielle Bedrohung für die CSU-Mehrheit geht dabei weniger von Rot-Grün als von der bürgerlichen Konkurrenz (FDP, FW) aus. Für die CSU, die sich seit dem Tod von Strauß mehrfachen Gefährdungen gegenübersah, erwies sich daher ihre Erneuerungsfähigkeit als zentral: personell, programmatisch und stilistisch. Unter der Führung Edmund Stoibers wirkte sich so die höhere Volatilität des Parteiensystems bisher zugunsten der CSU aus.

Diese Erfolgsfaktoren verdeutlichen, daß die aktuell schwierige Lage der CSU in einen breiteren Kontext einzubetten ist. Jenseits der Querelen um Stoiber stehen vor allem die Verbesserung der parteiinternen Kommunikation und programmatische Grundsatzthemen auf der Agenda - hierbei insbesondere die Frage nach der Neudefinition von sozialer Sicherheit in Zeiten notwendiger Reformen. Gelingt diese Erneuerung überzeugend, kann die CSU auch 2008 wieder mit 50 Prozent plus X rechnen.


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