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Was wollen bayerische Wähler?

Der Münchner Parteienforscher Andreas Kießling über Wahlstrategien im Freistaat

Von Christoph Wenzel

14.08.2005 · Welt am Sonntag



Bundeskanzler Gerhard Schröder in München, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber auf Tour durch den Freistaat - der Wahlkampf für die Bundestagswahl am 18. September ist angelaufen. Eine Herausforderung für alle Parteien nicht nur auf nationaler Ebene. Denn trotz des Deutschland einenden Themenspektrums von Arbeitslosigkeit bis Reformstau sind die Befindlichkeiten der Wähler in den Bundesländern durchaus unterschiedlich.

Eine Herausforderung auch für die Wahlkämpfer im Freistaat, glaubt Parteienforscher Andreas Kießling vom "Centrum für angewandte Politikforschung" (C·A·P) an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Flexibel, sagt er, müßten die Parteien in Bayern deshalb sein, um den thematischen Spagat im kurzen Bundestagswahlkampf zu meistern. "Denn die Wahl wird natürlich nicht über bayerische Themen entschieden", ist Kießling überzeugt.

Genau darin liege aber die Schwierigkeit für CSU und SPD, Grüne und FDP im Freistaat. Wie sehr sollen sie sich an die Bundesstrategien halten, inwieweit ist es sinnvoll, eine betont bayerische Linie zu fahren?

"Alle Parteien außer der CSU wären gut beraten, nicht auf bayerische Argumente zu setzen", glaubt Kießling. Doch auch für die Christsozialen bedeutet das eine thematische Zerreißprobe: Auf der einen Seite "muß die CSU deutlich machen, daß sie für den Gesamtstaat Verantwortung trägt, und außerdem zeigen, daß eine Regierung mit ihr auch für Bayern besser ist". Allerdings solle sie darauf achten, das "Modell Bayern" nicht über Gebühr zu strapazieren.

"Das könnte sich in den anderen Ländern für die Union schlecht auswirken", glaubt der Politologe. Denn dieses betont kompetente und selbstbewußte Bayern-Bild, wie es die CSU vermittele, könnte für einen gewissen Abschreckungseffekt gegenüber der Union sorgen. Kießling fordert deshalb eine "differenzierte Kommunikationsstrategie" von der CSU. Auf Bundesebene solle man besser betonen, daß "es auch in anderen Unions-Ländern gut läuft". In den "Bierzelten der Provinz" hingegen sei die Union im Freistaat natürlich auf Polarisierung angewiesen.

Anders der Spitzenkandidat: Auf eine stärkere Betonung des bayerischen Charakters solle hingegen CSU-Chef Edmund Stoiber achten. Während er sich im und nach dem Bundestagswahlkampf 2002 erfolgreich als möglicher Bundespolitiker präsentiert habe, "finde ich, daß dies leicht problematisch werden könnte". Stoiber wäre deshalb gut beraten, sich gerade in seiner Position als Libero innerhalb der Union "wieder stärker als bayerischer Ministerpräsident darzustellen".

Klar positionieren solle sich auch die SPD. Nachdem sich der bayerische Fraktionschef Franz Maget bereits vehement gegen eine mögliche Koalition mit dem Linksbündnis auf Bundesebene ausgesprochen und seine Partei zur Beendigung solcher Spekulationen aufgefordert hatte, müsse im Freistaat das Augenmerk der Sozialdemokraten nicht auf Auseinandersetzungen mit dem Linksbündnis liegen. "Der Hauptgegner muß die CSU sein."

Dennoch muß auch die SPD eine Gratwanderung meistern: Geschlossenheit mit der Bundespartei auf der einen Seite stehe dem "massiven Gegenwind" aus Berlin gegenüber und mache nach Kießlings Einschätzung die Lage für die Bayern-SPD derzeit "extrem schwierig".

Lösung könne daher nur eine langfristige Strategie sein, um in Bayern erfolgreich "das Image der Union zu relativieren". Gezielt auf problematische Kernzahlen der Wirtschaft in Bayern hinzuweisen, wie etwa auf das Gefälle von Arbeitslosenquoten und Wirtschaftskraft zwischen starken Regionen wie München und den Problemregionen im Norden des Freistaats. Dies sei die einzige Möglichkeit, "am Nimbus der Wirtschaftspartei CSU zu kratzen. Aber das wird Jahre dauern." Für den jetzigen kurzen Bundestagswahlkampf also keine Alternative.

Bessere Aussichten gesteht Parteienforscher Kießling unterdessen den Grünen zu. "Die einzig programmatisch profilierte Opposition in Bayern sind die Grünen", konstatiert Kießling, "sie sind die Premium-Opposition." Umweltpolitik müsse daher das Top-Thema für die Grünen bleiben, die in Bayern zudem einen Vorteil gegenüber den restlichen Landesverbänden hätten. "Die Wähler sind ja nicht ein paar versprengte Großstadtstudenten, sondern auch viele Bürger auf dem Land", erklärt der CAP-Forscher. "Es sind in Bayern keine völlig verschiedenen Wählerschichten, etwa zwischen CSU und Grünen. Ich sehe da eine sehr viel größere Übereinstimmung als in anderen Bundesländern."

Für die Bayern-FDP hingegen sieht Kießling einen klaren Vorteil in der Orientierung am Bund. "Die klare Koalitionsaussage zugunsten der Union ist gut für die FDP." So könne sie im Fahrwasser der Christkonservativen Stimmen abgreifen, die sie sonst gerade in Bayern nicht erhalten würde. Was vor allem daran liege, daß klassische liberale Themen wie Bürgerrechte oder Wirtschaftspolitik in Bayern von den Grünen respektive der CSU belegt seien. Deshalb "wird es für die FDP besser laufen als bei der Landtagswahl", zeigt sich Kießling für den "reichlich ratlosen Haufen" der Liberalen im Freistaat optimistisch.

Spannend wird der Wahlkampf aber nicht nur deshalb bis zuletzt bleiben, ist sich Andreas Kießling sicher. "Es wird einen heißen Wahlkampf bis zum Samstag nachmittag geben, weil sich ein Großteil der Wähler erst auf dem Weg zur Kabine am Sonntag entscheiden wird", prophezeit er. Egal ob in Berlin oder München.


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