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Der Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft

Vermessung des Transformationsmanagements

07.05.2004 · Neue Zürcher Zeitung



Ein erstmals erstelltes Ranking von 116 Transformationsländern, der Bertelsmann- Transformation-Index, gibt Auskunft über globale Demokratietrends und wirtschaftliche Entwicklungen. Ausserdem erfasst der Index die Leistung der Politik mit Blick auf die Transformation. Am weitesten fortgeschritten auf dem Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie ist Ungarn, die grösste Gestaltungsleistung hat Estland erbracht.

G. S. Sind Estland und Litauen so vorbildlich, wie es der Wahrnehmung entspricht? Besteht eine Kausalbeziehung zwischen Marktwirtschaft und Demokratie? Ist Afrika ein verlorener Kontinent? Der Bertelsmann-Transformation-Index (BTI), der heute Freitag in Berlin vorgestellt wird, will Antworten auf solche Fragen geben. Er tut dies mittels dreier in einem ausgeklügelten Verfahren berechneter Teilindizes. Der Status-Index misst, aufgeteilt in zwei Subindizes, den Stand der demokratischen und der marktwirtschaftlichen Transformation. Der Management-Index bildet die Qualität der politischen Steuerungsleistungen ab, und der Trendindikator soll Aufschluss geben über die Fortschritte hin zu Marktwirtschaft und Demokratie in der Periode 1998-2003.

Ein weiterer Index

Nun ist der Versuch, alles und jedes in Skalen zu pressen, Ausdruck des Zeitgeistes. Das gilt, im Zeitalter der Globalisierung und des Wachstums der Zahl der Staaten - von Fusionitis ist hier wenig zu merken -, auch für internationale Vergleiche. Ob Wettbewerbsfähigkeit oder politische und wirtschaftliche Freiheit, ob Qualität der Regierung, Korruption oder Ungleichheit, vieles wird in ein quantitatives Korsett gezwungen. Die Reaktion auf die Veröffentlichung solcher Ranglisten zeigt, dass dafür eine Nachfrage besteht. Auch wenn die Methodik der Studien nicht immer wissenschaftlichen Ansprüchen genügen mag - Unternehmen müssen vergleichen und sich für einen Standort entscheiden, Politiker wollen wissen, wohin sie ihre Entwicklungshilfegelder schicken sollen, und die Verantwortlichen in verschiedenen Ländern möchten beurteilen können, ob sie Fortschritte gemacht haben oder nicht. Vor diesem Hintergrund dürfte der neue Index durchaus auf Interesse stossen, zumal es sich dabei um ein Messinstrument handelt, das ganzheitlicher ist als andere, auf vielen selbst erhobenen, qualitativ interessanten Daten beruht und ausschliesslich das Management der Transformation in den insgesamt 116 untersuchten Staaten im Visier hat. Zu den Ergebnissen zählt, dass es Ungarn, die Slowakei, Litauen und Slowenien bisher auf dem Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie am weitesten gebracht haben (vgl. Grafik). Diese vier im Gravitationsfeld der EU liegenden Staaten sind die Spitzenreiter, wenn der BTI anhand von fünf politischen und sieben wirtschaftlichen Kriterien misst, ob etwa der Schutz des Privateigentums gewährleistet, ob Rechtsstaatlichkeit gegeben oder ob mittels tragfähiger Institutionen der soziale Ausgleich gesichert ist. Dass sehr viele Länder bei diesem Index Werte zwischen acht und zehn erhielten, lässt zwei Interpretationen zu: Entweder ist die Benotung recht mild, oder aber die Länder sind tatsächlich so freiheitlich, dass viele europäische Industrieländer inzwischen keineswegs mehr besser dastehen. Leider bietet der BTI keine Angaben zum Status der «alten Demokratien».

Beispielhaftes Mali

Zwischen 1998 und 2003 gab es grundsätzlich einen Trend zu mehr Demokratie. 71 der 116 Staaten werden als Demokratien klassiert, wobei 6 den Übergang von einem autoritären Regime zur Demokratie geschafft haben. Bei 31 der 71 Demokratien wird eine Verbesserung des Demokratie-Niveaus diagnostiziert, wobei Kroatien, Mali, die Slowakei, Taiwan und die Türkei besonders erwähnt werden. Dennoch steht es um die Demokratie in der Welt nicht zum Besten. In 18 der 71 Demokratien, vor allem in Nepal, Venezuela, Georgien und Côte d'Ivoire, ist die Freiheit zurückgegangen. 20 der untersuchten Demokratien bezeichnet die Studie denn auch als «stark defekt», vor allem, weil sie trotz freien Wahlen nicht genügend rechtsstaatlich sind. In weiteren 32 Ländern sind gemäss BTI Defekte deutlich spürbar, und nur 19 Staaten können als wirklich weitgehend demokratisch gelten.

Immerhin 45 der untersuchten Staaten weisen autoritäre Regime auf, von eher gemässigten wie Singapur und Malaysia über Modernisierungsdiktaturen wie China und Vietnam bis hin zu Despotien wie Turkmenistan und Tyranneien wie Nordkorea. Die Untersuchung zeigt, dass zwar eine deutliche Korrelation zwischen Wohlstand und Demokratie besteht (allerdings erst ab einem Pro- Kopf-Einkommen von rund 8000 $), dass sich aber eine kausale Beziehung nicht nachweisen lässt. Und auch die Korrelation kann nicht als ehernes Gesetz gelten, was im Urteil der Autoren der Untersuchung etwa Mali beweist. Das Land habe es trotz miserablen Ausgangsbedingungen geschafft, von einer maroden sozialistischen Planwirtschaft wegzukommen und die Demokratie zu konsolidieren. Mali wird ausserdem mit Botswana als Beleg dafür aufgeführt, dass in Afrika gutes politisches Management hin zu Marktwirtschaft und Demokratie durchaus möglich wäre.

Modernisierungsdiktaturen

Nur 12 der 71 Demokratien verfügen gemäss der Studie über institutionell gefestigte, leistungsfähige Marktwirtschaften. Es sind dies neben den 8 ostmitteleuropäischen EU-Beitritts-Ländern noch Südkorea, Taiwan, Chile und Singapur. Weil diese Staaten mit Ausnahme Singapurs alle hohe Demokratiewerte aufweisen, schliessen die Autoren, solide Marktwirtschaft und fortgeschrittene Demokratie gingen Hand in Hand. Allerdings blenden sie offenbar aus, dass die erwähnten aussereuropäischen Staaten ihren Weg zur Marktwirtschaft unter Modernisierungs-Diktaturen gegangen sind. Das hätte auch insofern Beachtung verdient, als gemäss dem Index in den letzten fünf Jahren so autoritäre Staaten wie China, Vietnam, Tunesien, Tschad und der Sudan erkennbare Fortschritte hin zu leistungsfähigen Marktwirtschaften zu verzeichnen hatten. Dramatische Rückschritte gab es dagegen in der Demokratischen Republik Kongo, in der Zentralafrikanischen Republik und in Simbabwe.

Ein origineller Teil des Messkonzeptes der Bertelsmann-Stiftung ist der Management-Index. Er soll erfassen, wie sehr die politischen Eliten eines Landes in der Lage waren, eine kohärente Reformpolitik zu betreiben und Entwicklungspotenziale optimal zu nutzen. Berücksichtigt wird ausserdem, ob die Rahmenbedingungen schwierig waren (Krieg, grosse Armut usw.) und die Transformationsleistung deshalb höher einzuschätzen ist. Die gemäss diesem Index besten zehn Länder (vgl. Grafik) zeichneten sich dadurch aus, dass sie konsistente Reformziele ansteuerten, einen breiten Konsens herzustellen wussten und die internationale Kooperation für die Transformation nutzten. Negativbeispiele sind demgegenüber Argentinien und - noch mehr - Venezuela. Mit weniger als drei (von zehn möglichen) Punkten wird das politische Management in Venezuela vom BTI als schlicht «misslungen» eingestuft. Dagegen attestiert der Index «partiellen» Modernisierern wie Singapur, China, Malaysia und Vietnam, dass sie die marktwirtschaftlichen Reformen erfolgreich steuern, aber eben leider die politischen Veränderungen vernachlässigen oder gar blockieren.


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