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Aufwind für Euroskeptiker

Die Folgen des Prager Misstrauensvotums

25.03.2009 · Position von Sarah Seeger



Seit am 24. März das Ergebnis des erfolgreichen Misstrauensvotums gegen den tschechischen Ministerpräsidenten und amtierenden EU-Ratspräsidenten Mirek Topolanek bekannt wurde, überschlagen sich die Meldungen über eine abermalige Krise der Europäischen Union. Dabei war die Abstimmung denkbar knapp: Exakt die für das Aussprechen des Misstrauens nötigen 101 Abgeordneten stimmten gegen einen weiteren Verbleib Topolaneks im Amt. Möglich wurde dies, da Topolanek einer Minderheitsregierung aus Christdemokraten, Grünen und seiner eigenen Partei, der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), vorsteht und für das reibungslose Führen der Amtsgeschäfte auf die Stimmen einiger fraktionsloser Abgeordneter angewiesen ist. Aufgrund der Tatsache, dass einige Parlamentarier die ODS bzw. die Grünen vor Kurzem verlassen hatten, schwand die ohnehin dünne Unterstützung, sodass der vierte Anlauf der oppositionellen Sozialdemokratien unter der Führung von Jiri Paroubek, den Ministerpräsidenten aus dem Amt zu heben, schließlich gelang.

Arbeitsprogramm der Ratspräsidentschaft läuft weiter

Fest steht, dass die EU auch nach dem Votum in Prag nicht „kopflos“ sein wird. Die überwiegende Arbeit eines Ratsvorsitzes, das Management der EU-Agenda, geschieht kaum auf der Ebene des jeweiligen Regierungschefs. Die einzelnen Dossiers werden vielmehr hinter den Kulissen Punkt für Punkt auf Administrationsebene abgearbeitet. Die Fäden ziehen dabei neben den nationalen Beamten des jeweiligen Vorsitzes auch die EU-Institutionen wie die Kommission, der Rat und dessen Generalsekretariat sowie das Europäische Parlament.

Zudem bleibt Topolanek weiterhin geschäftsführend im Amt, bis entweder Neuwahlen ausgerufen werden oder Präsident Vaclav Klaus eine neue Regierung gebildet hat. Erste Signale aus Prag deuten allerdings darauf hin, dass ein Machtwechsel erst nach der Zeit der EU-Ratspräsidentschaft stattfinden könnte, um diese möglichst wenig zu beeinträchtigen.

Schließlich offenbarte sich die Führungsschwäche der tschechischen Regierung nicht erst mit dem nun durchgeführten Misstrauensvotum. Die eigentlich ebenfalls zum Aufgabenrepertoire einer Ratspräsidentschaft gehörende Führungsfunktion übernahmen daher schon in den vergangenen Wochen andere – die Initiativen von Gordon Brown, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy zur Suche nach Lösungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sind dafür offensichtliche Belege. Auch Schweden, das am 1. Juli den Unions-Vorsitz übernehmen wird, bereitet sich bereits intensiv darauf vor, möglicherweise Liegengebliebenes zu erledigen.

Einen Stillstand der Europäischen Union wird es also auch in den kommenden Wochen nicht geben. Folgenlos bleibt der Ausgang des Misstrauensvotums für die Europäische Union allerdings nicht. Topolanek hat mit der Abstimmung massiv an Autorität eingebüßt, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Bei dem Anfang April stattfindenden informellen EU-USA-Gipfeltreffen wird er die Union kaum mit vollem Gewicht vertreten können. Das Vakuum, das Topolanek mit Blick auf Repräsentation und Führung der EU nun geschaffen hat, wird zwar von anderen teilweise ausgefüllt werden können. Dies wird jedoch einen erhöhten Koordinierungsaufwand erfordern, da die Rollen zwischen den einzelnen Akteuren nicht klar verteilt sind und es somit zu Kompetenzgerangel und Unklarheiten zwischen den verschiedenen Regierungschefs sowie anderen relevanten EU-Akteuren wie dem Kommissionspräsidenten oder dem Hohen Repräsentanten kommen kann.

Ratifizierung des Lissabon-Vertrags unter Druck

Vor allem mit Blick auf den Vertrag von Lissabon (auf dessen Grundlage im Übrigen durch die Einführung des permanenten Präsidenten des Europäischen Rates eine Situation wie die jetzige kaum möglich wäre) könnte die Situation in Tschechien jedoch gravierende Konsequenzen haben. Nach dem positiven Votum der Abgeordnetenkammer zum Vertragswerk im Februar steht die Entscheidung des Senats noch aus. Eigentlich sollte diese noch im April erfolgen, dieser Termin steht nun jedoch in Frage. Die Mehrheit der Senatoren gehört der ODS an, die hinsichtlich der Bewertung des Vertrags tief gespalten ist. Mit der Schwächung Topolaneks dürfte auch der europafreundlichere Flügel der Partei empfindlich getroffen sein, die Vertragsgegner innerhalb der ODS dürften starken Aufwind erhalten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Vertrag bei einer Abstimmung im Senat entweder abgelehnt oder zumindest nochmals zur Prüfung an das Verfassungsgericht übergeben wird. Eine Verzögerung des Ratifizierungsprozesses in Tschechien ist damit so gut wie sicher. Dies wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch spürbare Auswirkungen auf die Lage in Irland haben, wo im Herbst ein zweites Mal über das Vertragswerk abgestimmt werden soll, nachdem eine Mehrheit der Bevölkerung dieses im Juni 2008 zunächst abgelehnt hatte.

Konsequenzen für Europawahl

Dies dürfte ganz im Sinne von Präsident Vaclav Klaus sein, der seine Abneigung gegenüber dem Vertrag von Lissabon in der Vergangenheit nur allzu deutlich gemacht hat. Die öffentliche Präsenz, die ihm durch die Lage in Tschechien nun zusätzlich zuteil wird, wird er maßgeblich dazu nutzen, seine Kritik am Vertrag im Besonderen und seine euroskeptische Haltung im Allgemeinen nochmals lautstark kund zu tun. Gerade mit Blick auf die Europawahlen im Juni dürfte dies nicht folgenlos bleiben. Ein demonstratives Ignorieren des von Klaus vertretenen Euroskeptizismus, wie dies einige Europaabgeordnete jüngst mit dem Verlassen des Saales bei der Rede des tschechischen Präsidenten vor dem Europäischen Parlament symbolisch zum Ausdruck gebracht hatten, wird sich dabei jedoch als kontraproduktiv erweisen. Vor allem die zur Europawahl antretenden Parteien und Kandidaten sind daher nun gefordert, sich in ihren Wahlkampagnen aktiv mit den vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen und der Öffentlichkeit bessere zu liefern.


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