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Die neue europäische Energiedebatte

Unaufhaltsam steigende Öl- und Gaspreise führen zu Ernüchterung

02.06.2008 · Position von Florian Baumann



Nach dem die Entwicklungen im Bereich Europäische Energiepolitik im vergangenen Jahr recht positiv aufgenommen wurden, kehrte in Politik und Öffentlichkeit bald realpolitische Ernüchterung ein. "Ownership unbundling" – die eigentumsrechtliche Entflechtung integrierter Energiekonzerne –, das Für und Wider von Biokraftstoffen sowie die Zukunft des Emissionshandels prägten den Diskurs. Gegenwärtig dominieren jedoch zwei andere Themen die öffentliche Auseinandersetzung. Zum einen sind dies die unaufhaltsam steigenden Öl- und Gaspreise, zum anderen die europäische Pipelinepolitik. Während die Preisspirale für fossile Energieträger aber vor allem die politischen Entscheidungsträger in den Mitgliedstaaten umtreibt, finden die Debatten über verschiedene Pipeline-Alternativen vor allem in den geschlossenen Zirkeln der EU-Institutionen statt.

Der Rohölpreis liegt gegenwärtig bei etwa 130 US$ je Barrel (159 Liter) und der Gaspreis folgt ihm konsequent auf seinem Höhenflug. Dabei sind sich die Analysten an den Rohstoffmärkten nicht einig, wer oder was für die hohen Preise verantwortlich ist. Während das eine Lager die eigene Zunft in Verdacht hat und den Ölpreis auf Spekulanten und Investoren zurückführt, erkennt das andere darin die ersten Anzeichen einer dauerhaften Angebotslücke. Gegen Letzteres spricht, dass Rohöl und seine Derivate gegenwärtig in ausreichenden Mengen verfügbar scheinen. Zudem wird das schwächere weltwirtschaftliche Wachstum die Energienachfrage zusätzlich reduzieren. Kurzfristig macht das zumindest für die Verbraucher an der Tankstelle oder beim Heizölkauf kaum einen Unterschied. Sollte die Erdölversorgung aber tatsächlich auf ein dauerhaftes Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zusteuern, ist das jetzige Preisniveau lediglich ein bitterer Vorgeschmack auf zukünftige Entwicklungen.

Die Effektivität politischer Lösungsansätze hängt stark von der vorherrschenden Ursache der Preissteigerungen ab. Eine Deckelung der Preise für Ölprodukte, wie sie der französische Präsident Nicolas Sarkozy vorgeschlagen hat, oder eine Spekulationssteuer auf Rohstoffe, die von Österreichs Kanzler Alfred Gusenbauer propagiert wird, sind nicht geeignet eine strukturelle Versorgungslücke zu beseitigen. Wichtiger wären hingegen Maßnahmen um die Nutzung fossiler Energieträger grundsätzlich zu verringern und die Bevorratungspflichten auszuweiten. Auch eine Abkopplung des Gaspreises vom Ölpreis, der bisher langfristige Lieferverträge im Wege stehen, erscheint vor diesem Hintergrund überfällig. Das entscheidende Kriterium ist jedoch eine dauerhafte Anpassung an die neuen Spielregeln der globalen Rohstoffmärkte, statt des kurzfristig ausgerichteten Aktionismus, der sich EU-weit gerade breitmacht.

Die zweite große Streitfrage der vergangenen Wochen dreht sich um die Frage künftiger Pipelinerouten. Das deutsch-russische Northstream-Projekt hatte nicht nur wegen einer möglichen Verzögerung hinsichtlich der Fertigstellung für Schlagzeilen gesorgt, vielmehr ist die Realisierung insgesamt fraglich. Obwohl die Gasröhre auf der EU-Prioritätenliste steht, hat sich der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments gegen den Bau der Pipeline ausgesprochen, nachdem rund 30.000 Bürger Bedenken angemeldet hatten. Als offizielle Begründung wurde vor allem eine mögliche Störung des sensiblen Öko-Gleichgewichts in der Ostsee durch die Baumaßnahmen angeführt, wozu auch ein erhebliches Risiko durch Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg zählen. Darüber hinaus führt der polnische Berichterstatter Marcin Libicki auch die hohen Investitionskosten des Projektes an und fordert den Rat und die Kommission auf, einen alternativen Trassenverlauf über Land vorzuziehen. Bei allem Verständnis für die Bedenken gegen die Nordeuropäische Gaspipeline – den bilateralen Ausgangspunkt, mögliche Umweltgefahren und die hohen Investitionskosten – steht diese Forderung zunächst einmal im Widerspruch zu einem gemeinsamen europarechtlichen Beschluss der drei EU-Organe. Zusätzlich wurden bei der Entscheidung des Ausschusses die Transitkosten einer auf dem Land verlaufenden Pipeline unzureichend berücksichtigt.

Schwerwiegender sind hingegen andere Bedenken im Zusammenhang mit der geplanten Pipeline, die weder im Petitionsausschuss noch an anderer Stelle ausreichend gewürdigt werden. Zunächst erhöht die deutsch-russische Gasverbindung die Importabhängigkeit gegenüber Russland, die schon heute – sowohl für die Bundesrepublik, als auch im EU-Durchschnitt – bei etwa 45 Prozent liegt. Insbesondere Russland, das sich seiner Rolle als Energiegroßmacht durchaus bewusst ist, stellt aber einen schwierigen Partner dar. Zunehmend ist fraglich ob das Land seinen Lieferverpflichtungen überhaupt nachkommen kann, zumal der heimische Verbrauch stärker ansteigt als die Produktion. Eine mögliche russische Gaslücke wäre aber weniger auf zu geringe Reserven, als vielmehr auf unzureichende Investitionen in Förderanlagen und Infrastrukturen zurückzuführen. Generell ist Erdgas zwar, nach heutigem Stand der Technik, der Verwendung von Kohle und Erdöl aufgrund einer besseren CO2-Bilanz vorzuziehen, stellt langfristig aber ebenfalls keine nachhaltige Lösung dar. Die Begrenztheit der globalen Gas-Reserven und die weltweit steigende Nachfrage machen hier eine verschärfte Konkurrenz um die verbleibenden Vorräte absehbar. Mittelfristig könnte der Nachfrageanstieg durch Importe aus dem Iran – dem Land mit den zweitgrößten Gasreserven – bedient werden. Diese Alternative wäre momentan politisch aber nur schwer durchsetzbar.

Der wichtigste Schwachpunkt von Northstream ist aber an anderer Stelle zu suchen: Bilateral ausgehandelte Pipeline-Deals sind trotz aller Fortschritte bei der gemeinsamen Energiepolitik keine Ausnahme. Das europäische Vorzeigeprojekt Nabucco soll Erdgas vom Kaspischen Meer über die Türkei in die EU transportieren. Gleich mehrere Konkurrenzprojekte wie die geplante Southstream-Trasse von Russland über Ungarn nach Italien gefährden das Nabucco-Vorhaben. Damit würde erneut einer russischen Versorgung der Vorzug gegeben, woraus sich ein erschreckendes Muster erkennen lässt. Die Bekenntnisse zu einem gemeinsamen energiepolitischen Vorgehen, insbesondere einer gemeinsamen Energieaußenpolitik, existiert bislang nur auf dem Papier. Die viel gepriesene Solidarität unter den Mitgliedstaaten bleibt eine hohle Phrase. Dabei wäre eine abgestimmt Energiepolitik, basierend auf den Grundsätzen der Solidarität und der Diversifizierung, gerade wegen der hohen Importabhängigkeit der EU und der daraus resultierenden Verwundbarkeit ein überfälliger Schritt im europäischen Einigungsprozess.

Will die EU mit ihrer Energiepolitik ernst genommen werden, muss sie aufhören, sich in Stückwerk zu verlieren. Diversifizierung, Kohärenz und Solidarität dürfen keine Schlagworte bleiben, die ab und an aus der Schublade geholt werden, sondern müssen als Rahmen künftiger energiepolitischer Entscheidungen dienen. Drei Maßnahmen sind hierbei von besonderer Bedeutung. Erstens müssen sich die Mitgliedstaaten umgehend auf geeignete Krisenreaktionsmechanismen für drohende Versorgungsausfälle verständigen. Zweitens müssen die bisher vernachlässigten Bemühungen um eine EU-weite Steigerung der Energieeffizienz verstärkt werden. Effizienzsteigerungen führen zu Einsparungen, die dort wo sie zur Anwendung kommen, den Druck auf die Versorgungssicherheit reduzieren. Drittens muss der Anteil alternativer, heimischer Energieträger massiv ausgebaut werden. Damit wird nicht nur das Risiko kritischer Versorgungsengpässe minimiert und ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet; vielmehr stellt die Nutzung nachhaltiger Energiequellen eine langfristige Investition in eine sichere Zukunft dar.


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