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Rechtsextremismus? Was passierte in Mügeln?

Die eingespielten Reaktionsmechanismen von Medien, Politik und lokalem Umfeld reflektieren und durchbrechen

29.08.2007 · Position von Britta Schellenberg



Wenn es einen Rechtsextremismus-Verdacht gibt, noch dazu begleitet von internationaler Aufmerksamkeit, dann überschlagen sich bizarre Äußerungen und Stellungnahmen in Politik und Medien.

Die einen wittern sofort den strategisch arbeitenden Rechtsextremismus oder zumindest einen weit verbreiteten alltäglichen, der insbesondere in Ostdeutschland hinter jeder Ecke hervor lugt. Die anderen behaupten ebenso schnell, dass die fremdenfeindlichen oder rassistischen Sprüche nichts von dem beweisen und es sich vermutlich einmal mehr um eine gewöhnliche, feucht-fröhliche Kneipenschlägerei handele. Sie warnen vor vorschnellen Verurteilungen der Täter – des Dorfes, des Landstriches oder gar des ganzen Landes. Ob es sich um einen rechtsextremen Überfall handele sei unklar.

Tatsächlich ist es angebracht, einer Tat nicht vorzeitig den Stempel "Rechtsextremismus" aufzudrücken – dieses vorzeitige und dann nicht zu belegende Urteil hatte im Fall Sebnitz im Jahr 2000 zu einem wochenlangen Medienhype und zu hitzigen politischen Debatten geführt, die schließlich in wirrer Leere endeten. Es gilt: Der rechtsextreme Hintergrund einer Tat muss erst einmal bewiesen werden, bevor hierauf reagiert werden sollte.

Aber, warum die Fakten nicht erwähnen, die bereits – wie im Fall Mügeln - vorliegen? Es ist keineswegs normal, sondern ist durchaus "der Rede wert", wenn ein einzelner oder eine ganze Gruppe fremdenfeindliche Anwandlungen bei "ganz gewöhnlichen" Schlägereien bekommt. Und es ist auch nicht als gewöhnlicher Vorfall hinnehmbar, wenn fremdenfeindliche Sprüche geklopft werden – weder wenn sie eine Gewalttat begleiten, noch wenn sie nebenbei beim Bier fallen. Fremdenfeindliche Äußerungen – ohne Gewalttätigkeit, und besonders im Zusammenhang mit Gewalt – sind zu verurteilen. Das ist keine Lappalie - hier sind deutliche und harte Worte angebracht. Was – fragt sich der wartende Beobachter – was muss hier noch geprüft werden?

Ob jeder einzelne Täter fremdenfeindliche Sprüche gerufen hat oder nur einige und daher die Gewalttat nur zu einem geringen Prozentsatz einen fremdenfeindlichen Hintergrund aufweist? Sollte eine psychologisch geschulte Untersuchungsgruppe prüfen, ob die fremdenfeindlich anmutenden Sprüche auch wirklich fremdenfeindlich "gemeint" waren? – Das wäre absurd.

Fremdenfeindlichkeit ist ein Teil rechtsextremer Einstellung. Sie ist aber auch ohne Rechtsextremismus möglich. Auch wenn sie nicht in die rechtsextreme Ideologie eingebettet ist, ist sie ernst zu nehmen. In der deutschen Bevölkerung, besonders in der ostdeutschen, ist Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet. Sie ist – im Gegensatz zum Antisemitismus - in den vergangen Jahren noch gewachsen. Im westeuropäischen Vergleich nimmt sich die deutsche Fremdenfeindlichkeit hoch aus, im osteuropäischen dagegen sehr gemäßigt.

Die Reaktionen in Medien und Politik verlaufen nach Öffentlichkeit erregenden Vorfällen wie in Mügeln erstaunlich polar: Rechtsextremismus stärker bekämpfen und mehr Geld für den Kampf gegen Rechtsextremismus, heißt es auf der einen Seite, Rechtsextremismus gibt es bei uns nicht und das war vermutlich nur eine "gewöhnliche" Schlägerei ist die spontane Reaktion der anderen. Erstaunlich ist auch, dass die hitzig geführte Debatte von den "Umstehenden" zumeist als gegen sie gerichtet wahrgenommen wird. So fühlt sich häufig der Bürgermeister gemeinsam mit seiner Gemeinde als Opfer einer überzogenen Debatte von Medien und Bundespolitikern. Das muss verwundern: Wie kommt es dazu, dass die Menschen vor Ort sich (zumeist) nicht als Opfer von Gewalttätern, Fremdenfeinden oder eben Rechtsextremen sehen, sondern als Opfer einer für sie diffamierenden Kampagne – als Opfer einer von außen eindringenden Kampagne?

Warum diese Gegen-Reaktionen? Geht es denen, die nach solchen, mit fremdenfeindlichen Sprüchen garnierten, Gewalttaten abwiegeln und nicht voreilig verurteilen wollen in erster Linie darum, das "Gesicht" ihrer Heimat zu wahren – wie es ihre Gegner häufig behaupten - und halten sie sich deshalb mit Fragen nach Rechtsextremismus, aber auch mit offenen Diskussionen über Hintergründe der Vorfälle zurück? Ist es Angst gegenüber den Bürgern oder Angst vor Prestigeverlust und einem kollektiven "In-die–Ecke-gestellt-werden"? Oder sind es Gleichgültigkeit und Ideenlosigkeit die verhindern, dass die Feindlichkeiten diskutiert und die Probleme angepackt werden? Handelt es sich tatsächlich nur um eine simple Fehleinschätzung der Situation oder um eine Fehleinschätzung darüber, was ein attraktives Image einer Gemeinde, eines Landes ausmacht?

Rechtsextremismus wird in der öffentlichen Debatte heute zum "Tod-Schlag-Begriff" – als bedeute das Urteil alles oder nichts für die Gemeinde, den Landkreis, das ganze Land.

Bei den Vorfällen selbst geht es häufig nicht um Rechtsextremismus, sondern um Fremdenfeindlichkeit. Das bedeutet aber keineswegs, dass man sich nun genügsam zurücklehnen könnte.

Für die begehrten indischen Arbeitskräfte und die finanzschweren internationalen Investoren, die unsere Wirtschaft weiter ankurbeln sollen, ist dieser fremdenfeindliche, unkontrollierbare Mob, der sich scheinbar – wenn es denn kein Rechtsextremismus ist - aus einer ganz gewöhnlichen feucht-fröhlichen Angelegenheit am Abend formieren kann, unkalkulierbar gefährlich. Wer möchte seinen Mitarbeitern so eine Umgebung zumuten? Auch sollte es einem durchsetzungsfähigen Staat leichter und schneller gelingen eine von Dorf zu Dorf reisende und schlagende rechtsextreme Truppe unter Kontrolle zu bekommen – als zufällig gemeinsam agierende Fremdenfeinde. Der Befund "kein Rechtsextremismus" müsste also nicht unbedingt beruhigen.

Im Jahr 2006 gab es 1047 Gewalttaten mit antisemitischen, fremdenfeindlichen und rechtsextremen Hintergründen in Deutschland – so die aktuellen Daten des Bundesinnenministeriums. Der Fall von Mügeln ist ein weiterer unter vielen – ob er als fremdenfeindliche oder als rechtsextreme Gewalttat in die Register von Polizei und Verfassungsschutz eingeht, wird sich zeigen.

Unabhängig davon gilt es aber nicht allein Rechtsextremismus zu thematisieren, sondern Fremdenfeindlichkeit als Problem ernst zu nehmen und anzupacken. In Medien, Politik und dem lokalen Umfeld müssen die eigenen Reaktionsmechanismen besser reflektiert werden. Nur durch eine nicht dramatisierende, aber ernsthafte, offene und gemeinsame Auseinandersetzung mit Fällen wie Mügeln können zukünftige Eskalationen vermieden werden.


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