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Aufnahme der Westbalkanstaaten in NATO's "Partnerschaft für den Frieden"

Verliert das westliche Bündnis an Glaubwürdigkeit?

18.12.2006 · Position von Dominik Tolksdorf



Am 14.12.2006 hat die NATO neben Bosnien-Herzegowina und Montenegro auch mit Serbien ein Rahmenabkommen zur Teilnahme am Programm "Partnerschaft für den Frieden" (PfP) unterzeichnet. Dies geht auf ein Angebot der Regierungschefs der NATO-Staaten vom Gipfel in Riga Ende November zurück. Das PfP gilt als eine Vorstufe für die NATO-Mitgliedschaft und beinhaltet unter anderem die Unterstützung bei Verteidigungsreformen und beim Aufbau demokratisch kontrollierter Streitkräfte. Mit der Teilnahme der drei Länder am PfP beabsichtigt die NATO vor allem, vor dem Hintergrund der schwierigen Entscheidung über den Kosovo-Status die Stabilität im westlichen Balkan zu fördern und die Staaten näher an den Westen zu binden.

Diese Entwicklung ist erstaunlich, da Serbien nur unzureichend mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) zusammenarbeitet. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hat noch kürzlich die Kooperation mit Den Haag als Beitrittsbedingung zum PfP betont. Während die EU aus gleichem Grund im April 2006 die Verhandlungen mit Serbien über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen ausgesetzt hat und an dieser Entscheidung weiter festhält, erwartet die NATO zwar weiter die Zusammenarbeit, ist aber aus pragmatischen Gründen von diesem obersten Prinzip abgerückt. Die Kritik am Vorgehen der NATO von der Chefanklägerin des Haager Gerichts, Carla del Ponte, ist nicht verwunderlich, zumal diese vorher nicht über den Schritt der NATO informiert wurde. Durch diese Entscheidung untergräbt die NATO nicht nur das Ansehen des Tribunals und gefährdet die Glaubwürdigkeit des Westens, es scheint auch als ob sie Serbien die ausbleibende Kooperation bei der Auslieferung des Kriegsverbrechers Ratko Mladic durchgehen lässt.

Anreize für die Serben vor der Kosovo-Statusentscheidung

Der Schritt der NATO kann als eine Reaktion auf die jüngsten Ereignisse im westlichen Balkan verstanden werden. Die seit Februar laufenden Kosovo-Statusverhandlungen in Wien haben bisher zu keinem Ergebnis geführt. Ohne Einigung der Albaner und Serben im Kosovo wird deshalb UN-Verhandlungsführer Martti Ahtisaari nach den serbischen Parlamentswahlen am 21. Januar 2007 einen Lösungsvorschlag für die Statusfrage bekannt geben, der wahrscheinlich eine bedingte Unabhängigkeit des Kosovo vorsieht. Schon die Bekanntgabe des Lösungsvorschlags wurde auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen verlegt, um die Ausgangslage demokratischer Politiker nicht zu schwächen. Denn die im serbischen Parlament bereits stärkste Partei, die Radikale Partei des in Den Haag angeklagten Vojislav Seselj, könnte weiter an Zustimmung gewinnen, wenn die internationale Gemeinschaft noch vor der Wahl ihre Position zum Kosovo bekannt gibt.

Um die demokratischen Parteien um Präsident Boris Tadic zu stärken hat die NATO den serbischen Wählern nun einen Anreiz geboten mit der unmissverständlichen Aussage: Wählt die demokratischen Parteien und das Land wird so schnell wie möglich in die euroatlantischen Strukturen eingebunden. Wenn es in den folgenden Monaten zu einer einvernehmlichen und friedlichen Lösung der Kosovo-Statusfrage kommt, könnte der Weg in die NATO kürzer sein, als heute abzusehen ist. Einerseits hat eine Partnerschaft zwischen NATO und Serbien große symbolische Wirkung: Ein Land, gegen das die NATO noch vor wenigen Jahre Krieg geführt hat und in dem sie noch stationiert ist, findet nun Anschluss an das transatlantische Bündnis. Mittelfristig ist dann auch eine EU-Mitgliedschaft in Sicht, schließlich wurden auch die osteuropäischen Staaten NATO-Mitglieder, bevor sie 2004 der Union beigetreten sind.

Befürchtung einer serbischen Isolierung

Andererseits verdeutlicht das Vorgehen der NATO aber auch, wie sehr man einen Wahlsieg der Radikalen Partei befürchtet. Eine solche Regierung, die ggf. mit der früheren Milosevic-Partei der Sozialisten koalieren würde, könnte das Land die nächsten Jahre vom Weg in die westlichen Strukturen abbringen und für neue Instabilitäten in der Region sorgen. Zwar wird keine serbische Partei die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptieren, die Situation wäre aber unter einer bürgerlichen Regierung weniger bedrohlich. Der innenpolitisch angeschlagene Ministerpräsident Vojislav Kostunica spielt mit dieser Befürchtung des Westens und konnte im Oktober einen wichtigen politischen Schachzug landen, als er die  Verabschiedung einer neuen Verfassung erreichte, die den Kosovo als integralen Bestandteil Serbiens festschreibt. Zwar war dies auch der Fall nach der alten Verfassung, die Betonung verdeutlicht aber noch einmal, dass jeder serbische Politiker, der einer Unabhängigkeit der Provinz zustimmen würde, verfassungswidrig handelt. Die Verfassung, deren Inhalt viele Politiker kaum kannten, wurde quasi über Nacht vom Parlament verabschiedet. Auch vor dem anschließenden Referendum gab es nicht genügend Zeit für eine öffentliche Diskussion. Abgesehen von den Unregelmäßigkeiten, die beim Referendum auftauchten, sowie der Tatsache, dass sich die Kosovo-Albaner daran nicht beteiligten, ist problematisch, dass die neue Verfassung wenig an europäischen Standards ausgerichtet ist. So ermöglicht sie verstärkte staatliche Zentralisierung sowie eingeschränkte Unabhängigkeit der Justiz. Die Ereignisse vom Oktober haben gezeigt, dass es in Serbien nach wie vor starke politische Kräfte gibt, die nicht wirklich an Reformen interessiert sind, die das Land näher an die EU und NATO rücken würden. Zumindest stellt sich die Frage, wie viel Interesse in Serbien wirklich an einer EU-Integration besteht. Da es zuletzt nur wenige Bestrebungen gab, auf die Bedingungen der EU und des ICTY einzugehen, hat wohl selbst in Serbien niemand mit dem NATO-Angebot gerechnet. So konnte sich Kostunica als moralischer Sieger fühlen, als er betonte, dass es manchmal kontraproduktiv sei, Serbien Bedingungen aufzuzwingen, um internationalen Institutionen beizutreten. Diese Reaktion deutet nicht gerade auf einen Annäherungskurs hin.

Praktische Vorteile bedeutender als Verlust der Glaubwürdigkeit

Trotz der damit verbundenen Symbolik ist das Vorgehen der NATO keine ungefährliche Angelegenheit, denn die transatlantischen Partner riskieren damit, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Nicht nur der ICTY und Carla del Ponte wurden bei der Entscheidung übergangen, auch die demokratisch orientierten serbischen Politiker könnten weiteren Schaden nehmen und sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, bei den Wahlen durch die Hilfe der NATO Vorteile zu haben. Anscheinend aber wiegen die praktischen Vorteile einer PfP-Teilnahme der drei Balkanstaaten mehr als der Verlust der Glaubwürdigkeit des Westens.

Der NATO geht es vor allem darum, Stabilität in der Region zu fördern und für Ruhe zu sorgen. Das Kosovo und Bosnien sollen so bald wie möglich stabilisiert werden, damit die NATO-Truppen in Kosovo reduziert werden können. Denn die Diskussionen beim Gipfel in Riga um Truppenverstärkungen der Schutztruppen in Afghanistan haben gezeigt, dass die großen Mitglieder nicht bereit sind bzw. es ihnen nicht möglich ist, weitere Truppen zu stellen. Will sich die NATO in anderen Gebieten stärker engagieren, so muss sie mittelfristig die Kräfte im Balkan auf das Nötigste reduzieren, sobald die Stabilisierung der Region sichergestellt ist.

Langfristig gesehen kann die NATO auch von einer PfP-Mitgliedschaft Serbiens, Bosnien-Herzegowinas und Montenegros profitieren, indem sich diese an friedenserhaltenden Missionen des transatlantischen Bündnisses beteiligen. Bosnische Truppen werden schon bald im Hauptquartier der NATO und der EU-Friedenstruppen in Sarajewo die Arbeitsweise einer internationalen Mission kennen lernen. Schon heute stellen Albanien, Kroatien und Mazedonien Truppen für die International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan. Den drei Staaten wurde in Riga eine baldige NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Allerdings ist die Zustimmung zu einer NATO-Mitgliedschaft in Kroatien aufgrund von Befürchtungen, Truppen in den Irak zu senden, sehr begrenzt.

Sicherheitsgefühl in der Region stärken

Weiter wird die PfP-Teilnahme das Sicherheitsgefühl vor allem in Bosnien stärken. Zwar ist das PfP-Programm kein Verteidigungsbündnis, da eine Beistandspflicht nur NATO-Mitgliedern vorbehalten ist. Das zwischen der NATO und dem Neumitglied unterzeichnete Rahmendokument schreibt aber u.a. die Verpflichtungen zur Respektierung bestehender Grenzen sowie zur friedlichen Beilegung von Konflikten fest. Serbien verpflichtet sich also, die Grenzen in der Region zu respektieren. Das ist nicht unwichtig, da befürchtet wird, dass nach einer Unabhängigkeit des Kosovo Forderungen nach weiteren Grenzveränderungen in der Region laut werden, und es zu unvorhersehbaren Spillover-Effekten kommen wird. So ist zu befürchten, dass die Statusentscheidung neue Diskussionen um die noch immer recht instabile Staatlichkeit Bosniens auslösen könnte und die Zustimmung zu einem Unabhängigkeits-Referendum in der serbischen Entität (Republika Srpska) zunehmen wird. Die Aussagen serbischer Politiker wie Ministerpräsident Kostunica, der die Republika Srpska in der Vergangenheit als „nur vorübergehend getrennten Teil des serbischen Mutterlandes“  bezeichnete, unterfüttern solche Befürchtungen. Schon nach dem Referendum in Montenegro erklärte Milorad Dodik, Ministerpräsident der Republika Srpska, dass nun die Ära der Referenden begonnen habe.

Besonders interessiert an der PfP-Teilnahme sind die Nachbarstaaten und NATO-Mitglieder Griechenland, Ungarn, Italien und Slowenien. Denn die Teilnahme am NATO-Programm fördert nicht nur militärische Reformen, sondern erleichtert auch den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Waffenschmuggel in der Region. Letztlich ist das Vorgehen der NATO aus pragmatischer Sicht durchaus verständlich. Es bedeutet aber auch die Abkehr der NATO von Prinzipien, an die die internationale Gemeinschaft während der letzten Jahre festgehalten hat. Die EU als Ganzes hat sich diesem Trend trotz heftiger interner Streitigkeiten noch nicht angeschlossen: Die Forderung einiger Mitglieder (vor allem Italien, Österreich, Slowenien und Ungarn), die Verhandlungen mit Serbien trotz der Nicht-Ergreifung und Auslieferung Mladic’ wieder aufzunehmen, wurde kürzlich vom EU-Rat abgelehnt. Ob die Ereignisse einen Mangel an Koordination zwischen NATO und EU verdeutlichen oder vielmehr Teil einer zwischen beiden Organisationen ausgeklügelten Strategie sind, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Solch eine Strategie könnte aufgehen, wenn Serbien nach den Wahlen im Januar Ratko Mladic ausliefert und es zur Wiederaufnahme der Gespräche mit der EU kommt.


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