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Russland und die EU: Natürliche Partner – aber keine Garantien.

Informeller EU-Gipfel im finnischen Lahti

24.10.2006 · Position von K. Notz und F. Baumann



Externe Energieversorgung und Innovationspolitik standen als Schwerpunkte beim informellen Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 20. Oktober 2006 auf der Agenda. Zusätzlich fand ein gemeinsames Abendessen der EU-Politiker mit Wladimir Putin statt. Dieser war von den EU-Staats- und Regierungschefs zum Gespräch über das im Jahr 2007 auslaufende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der Europäischen Union mit Russland geladen worden. Im Vordergrund stand dabei der Versuch, dem russischen Präsidenten schon jetzt langfristige Sicherheitsgarantien für zukünftige Ergaslieferungen an Europa abzuringen. Zusätzlich ging es um die Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen für ausländische Investoren in Russland. Bundeskanzlerin Angela Merkel plant im nächsten Jahr unter deutschem EU-Vorsitz über eine Neuauflage der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland zu verhandeln und dabei die Energiefragen mit einzubeziehen.

Es steht der EU gut zu Gesicht, den Dialog mit Putin zu forcieren, denn die externe Energieversorgung Europas stellt sich aufgrund seiner Abhängigkeit von Energieimporten aus dem Ausland nach wie vor mehr als schwierig dar. Im Jahr 2005 wurden den neuesten Erhebungen von Eurostat zufolge 56 Prozent des europäischen Energiebedarfs durch Importe gedeckt. Von zentraler Bedeutung sind für Europa dabei die russischen Erdgaslieferungen, die ein Viertel der Importe ausmachen. Und Prognosen für die kommenden Jahrzehnte sehen weiterhin steigende Abhängigkeiten voraus: Bis zu 70 Prozent der Rohstoffe für die Energiegewinnung – bei Erdgas sogar rund 80 Prozent – müssen in naher Zukunft importiert werden, sofern es nicht zu deutlichen Änderungen in der Energiepolitik kommt.

Andererseits besteht auch für Russland eine Abhängigkeit gegenüber der EU. So gehen etwa 67 Prozent der russischen Gasexporte nach Europa. Der einst taumelnde Riese konnte dadurch in den letzten Jahren nicht nur seine Kassen füllen, über die er sich nun Zugang zu den europäischen Industrien und Energiemärkten verschaffen kann. Hohe Energiepreise und steigende Nachfrage ermöglichen ihm in den anstehenden Neuverhandlungen eines EU-Russland-Vertrages auch eine Position, die kühle Kalkulationen zulässt. Zudem ist Putin - wie der Gasstreit mit der Ukraine zu Beginn des Jahres 2006 gezeigt hat - durchaus gewillt, seinen Rohstoffreichtum als Machtfaktor einzusetzen.

Das Kernproblem der EU ist, dass es einen verlässlichen Partner braucht, ihn in Russland aber nicht zwangsläufig findet. Die enge wirtschaftliche und strategische Verflechtung mit Russland wird in der EU zwar vielfach gewünscht, Russland möchte dem Wunsch der Europäer nach sicheren Garantien jedoch nicht nachkommen.

Das rohstoffreiche Land im Osten stellt sich generell als wankelmütiger Partner für die Europäer dar - gerade beim Thema Energie. So wurde die 1991 verfasste Energiecharta von Russland zwar unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert. Dadurch bleibt für europäische Investoren der Zugang zu den russischen Märkten weiterhin verschlossen. Auf dem Gipfel in Lahti war von Putin dazu auch wenig mehr als ein Lippenbekenntnis zu bekommen: Der russische Präsident äußerte zwar seine prinzipielle Zustimmung zu den Grundsätzen der Charta, deren wichtigsten Bestimmungen den Schutz von Investitionen, den Handel mit Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen sowie den Transit und die Streitbeilegung betreffen. Einige Punkte müssten laut Putin aber „genauer heraus gearbeitet werden, um die Interessen aller Partner zu berücksichtigen.“ Damit wich Putin letztlich allzu konkreten Aussagen über die möglichen Inhalte eines neuen Vertrages aus. Konkrete Liefergarantien für Energie im neuen Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland zu verankern, lehnte er hingegen kategorisch ab.

Die jüngsten Ereignisse in Russland brachten eine weitere Problematik zum Vorschein: Die europäischen Staats und Regierungschefs sind untereinander im Umgang mit Russland uneins. Es geht insbesondere um die Frage, ob die EU bei den Verhandlungen mit Russland ihre wirtschaftlichen Interessen mit politisch-moralischen Werten verknüpfen soll. Während sich der französische Präsident Jacques Chirac dafür aussprach, diese beiden Punkte klar voneinander zu trennen, thematisierte der finnische EU-Vorsitz im Namen der EU beim Abendessen unter anderem die Korruption, die Lage der individuellen Freiheits- und Menschenrechte sowie Spannungen zwischen Russland und Georgien. Außerdem forderte man genaueste Aufklärung der Zusammenhänge des Mordes an der regierungskritischen, russischen Journalistin Anna Politkowskaja.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die EU angesichts innerrussischer Entwicklungen bisweilen beide Augen zudrücken muss bzw. müssen wird. Sie sollte sich aber in jedem Fall davor hüten, in eine Situation zu kommen, die als Handel „Menschenrechte gegen Energie“ zu bezeichnen wäre.

Selbst wenn die EU am vergangenen Freitag von russischer Seite nur allgemeine Gesprächsbereitschaft über Energiefragen signalisiert bekam und Putin ihrem Wunsch nach konkreten Aussagen nur mit prinzipiellen Zusagen nachkam, hat sie im Wintersportort Lahti ein nach außen einheitliches und geschlossenes Bild präsentiert. So lässt sich dem Abendessen mit dem russischen Präsidenten durchaus Positives abgewinnen, obwohl kaum greifbare Ergebnisse erzielt wurden. Es ist erfreulich, dass die anwesenden Regierungsvertreter trotz divergierender Meinungen während des Gipfels letztlich mit einer Stimme sprachen und sich auf eine gemeinsame Linie verständigten. Putins neues Selbstbewusstsein im Umgang mit anderen Staaten sowie die zunehmende Missachtung der Menschenrechte im Land hatten bei den Europäern angesichts der Energieabhängigkeit für Irritationen gesorgt. Der demonstrative Schulterschluss der Europäer gegenüber dem mächtigen Partner ist daher als Erfolg zu werten.

Darüber hinaus zeigt die Wahl der Energieversorgungssicherheit als Schwerpunkt des informellen Treffens, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs sich der Brisanz des Themas nach wie vor bewusst sind. Zudem wurde angesichts des fortschreitenden Klimawandels erneut auf die dringende Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen hingewiesen. Die im Frühjahr 2006 begonnenen Bestrebungen der EU eine Europäische Energiepolitik zu entwickeln setzen zweifelsohne an den richtigen Stellen an. Die Sicherung der Energieversorgung durch die Diversifizierung der Rohstoffe im Energiemix und vor allem der Herkunft der Importe ist ein wichtiger Bestandteil dieses Vorhabens (siehe dazu „Energie für Europa“ )

Trotz allem zeigt sich in Lahti dennoch, dass die Versorgungssicherheit gegenwärtig zu den dringlichen Problemen Europas gehört, denen sich die EU entsprechend widmen sollte. Losgelöst von den weiteren Entwicklungen in den Beziehungen zwischen Russland und der EU bedürfen daher folgende Punkte einer raschen Umsetzung:

  • Als besonders wichtige Maßnahme ist die vollständige Umsetzung des Aktionsplanes zur Energieeffizienz ins Auge zu fassen. Das am Vortag des Gipfels von der EU-Kommission unter dem Titel „Realising the potential - Saving 20% by 2020“ vorgestellte Papier (Mitteilung der Kommission vom 19. Oktober 2006, KOM(2006)545) enthält ein umfangreiches Bündel von Maßnahmen, die in den kommenden Jahren den europäischen Energieverbrauch um bis zu 20 Prozent senken sollen. Vor allem die Verringerung von Energieverlusten bei der Stromgewinnung, -übertragung und -verteilung bieten ein erhebliches Einsparungspotenzial. Auch die Verwendung verbesserter Kraftstoffe und umweltfreundlicherer Fahrzeuge werden in dem Aktionsplan genannt. Ein weiterer Punkt ist die Energieeffizienz alltäglicher Haushaltgeräte wie Kühlschränke und Waschmaschinen, sowie der Standby-Betrieb elektronischer Geräte, die für einen großen Teil des Energieverbrauchs verantwortlich sind. Es sollte das Bewusstsein der Bevölkerung hinsichtlich der Energiesparmaßnahmen deutlich geschärft werden.
  • Weiterhin ist an einer umfassenden Diversifizierung der europäischen Energieversorgung zu arbeiten. Von vorrangigem Interesse ist dabei die Umstellung auf einen Energiemix, der die Abhängigkeit von Rohstoffimporten reduziert. Der Ausbau regenerativer Energiequellen als Ergänzung zu vorhandenen Kraftwerken muss stärker forciert werden. Darüber hinaus muss die externe Energieversorgung auf eine breitere Basis gestellt werden. Dort, wo Importe notwendig sind, ist es zwingend erforderlich alternative Transitrouten und zusätzliche Lieferanten zu suchen. Damit lässt sich die bedrohliche Abhängigkeit von einigen, wenigen Staaten – insbesondere Russland – reduzieren. Wenn die EU die Herkunft ihrer importierten Energie ausreichend diversifiziert, wird sie somit nicht nur weniger von Russland abhängig sein (ihre Schritte Richtung Kasachstan sind insofern zu begrüßen), sondern auch die Gefahr reduzieren, dass Energie von Russland als politisches Druckmittel gegenüber den EU-Staaten eingesetzt werden könnte. Erst dann würde die momentane Schieflage der wechselseitigen Abhängigkeit von einer tatsächlichen Situation der Interdependenz abgelöst.
  • Drittens sollten die EU-Mitgliedsstaaten noch stärker als bisher in Forschung und Entwicklung im Bereich Energiegewinnung investieren. Eine Erhöhung des Wirkungsgrades von Kraftwerken – beispielsweise durch Kraft-Wärme-Kopplung – bietet hier wohl die größten Erfolgsaussichten. Außerdem bietet auch die Weiterentwicklung alternativer Energien als Ergänzung zur konventionellen Energiegewinnung die Möglichkeit, den bereits erwähnten Energiemix weiter auszubauen.
  • Schließlich ist mittelfristig eine gemeinsame Energieaußenpolitik der Mitgliedstaaten unumgänglich. Vorschläge dazu wurden sowohl vom Hohen Vertreter für die GASP (Ratsdokument S 160/06) als auch von der Kommission bereits vorgelegt. Auch innerhalb der Mitgliedsstaaten zeichnet sich zunehmend die Bereitschaft zur Kooperation in diesem Bereich ab. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt das Thema während seiner Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr weiter voranzutreiben. Neben dem parallel forcierten Ausbau des Energiebinnenmarktes kann im Rahmen der EU-Außenbeziehungen ein entscheidender Beitrag zur langfristigen Absicherung der Energieversorgung geleistet werden.

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