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Die Welt als gigantische Mega-City?

Position zur urbanen Zukunft

08.03.2005 · Chloé Lachauer



Utopie, Science Fiction oder schöne neue Welt?

Bereits im Jahr 1951 beschrieb Science-Fiction-Autor Isaac Asimov die Vision der urbanen Gigantomanie. In seinem "Foundation"-Zyklus prognostizierte er das Ende des fiktiven Planeten Trantor aufgrund der Mega-Verstädterung. Jener Planet ist die Mitte des galaktischen Imperiums, das der Saga zugrunde gelegt ist. In Folge des durch die fortschreitende Urbanisierung schlechter werdenden Klimas muss der gesamte Planet mit einer Kuppel gigantischen Ausmaßes überdacht werden; nur die Ozeane und der Kaiserliche Distrikt bleiben davon ausgenommen. Der Planet ist sein eigener Energieprozent. Hauptlieferant ist neben Solarsatelliten und Kernkraftwerken geothermale Energie. Aufgrund der hohen Bevölkerungszahl jedoch müssen Gärten auf andere Planeten ausgelagert und Nahrungsmittel von dort eingeführt werden, denn auf Trantor ist kein Raum mehr für den Anbau von Nutzpflanzen, geschweige denn für das Anlegen grüner Oasen. Die einzelnen Distrikte können zudem nur über eine Art Magnetschwebebahn erreicht werden, denn auch die Infrastruktur steuert auf Trantor stetig dem Zusammenbruch entgegen. "Er konnte den Boden nicht sehen. Der war unter immer größeren Anhäufungen aus den von Menschen errichteten Strukturen verloren. Er konnte keinen anderen Horizont entdecken als den von Metall gegen den Himmel, der sich in fast gleichmäßigem Grau dahin zog, und er wusste, dass damit die gesamte Landmasse des Planeten bedeckt war. Es war kein Grün zu sehen; kein Grün, kein Erdboden, kein Leben außer dem menschlichen. Er erblickte nur die mächtigste Errungenschaft der Menschheit; die völlige und fast herablassende endgültige Eroberung einer Welt", so berichtet der Protagonist in Asimovs Roman 1951 ahnungsvoll.

Erde wird zur einzigen Stadt

Offenbar scheint uns die Realität einzuholen – Asimovs Vision gleicht nicht länger einem bloßen utopischen Gedankenkonstrukt. So wird es in absehbarer Zeit mehr als doppelt so viele alte Menschen wie jetzt auf der Erde geben. Und schon in zwei Jahren wird die Hälfte der Erdbevölkerung in Städten leben. Das sagt eine Prognose der Vereinten Nationen voraus, die Kofi Annan Ende Januar 2005 in New York vorstellte. Danach wird sich die Zahl der über 60Jährigen in 50 Jahren auf über 2 Milliarden verdreifachen (1950 gab es weltweit nur 200 Millionen über 60). Gleichzeitig sinkt die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter. Die Landflucht nimmt zu, und die Mega-Metropolen wachsen weiter. Den Rekord halten derzeit Tokio (35,3 Millionen), Mexiko-Stadt (19,2), New York (18,5) und Bombay (18,3).

Im Jahr 2025 werden wir es nach Aussage der Weltkommission "Urban 21" mit drei Typen von Städten zu tun haben, der von spontanem, übermäßigem Wachstum geprägten Stadt (Afrika, Lateinamerika), der von dynamischem Wachstum geprägten Stadt (Asien) sowie der von Überalterung geprägten ausgewachsenen Stadt (Europa, Nordamerika).

Urbanisierung und Globalisierung

Städte gibt es bereits seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. Und seit Anbeginn ihres Bestehens sind Städte Anziehungspunkte für Menschen. Um 1800 lebten ca. 2 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Zentren. Heute, mit einer Weltbevölkerung von mehr als 6 Milliarden Menschen, lebt knapp die Hälfte in Städten und Großstädten. Im Jahr 2007 wird die halbe Welt Stadtbevölkerung sein. So lautete das Fazit einer Sondertagung der UNO-Generalversammlung zur Überprüfung und Bewertung der Umsetzung der Habitat Agenda, einer Sektion der Vereinten Nationen, die sich mit Stadtentwicklung, Migration und Globalisierung auseinandersetzt, bereits im Juni 2001.

Jüngsten Prognosen zufolge werden sich die städtischen Zentren zu neuen Größenordnungen ausdehnen. Vor 50 Jahren war die Stadt New York die einzige Stadt der Welt mit mehr als 10 Millionen Bewohnern. Heute existieren global bereits 19 Mega-Cities diesen Ausmaßes. Zugleich hat sich in den vergangenen 50 Jahren auch die Anzahl derjenigen Städte immens vervielfacht, die die Ein-Millionen-Einwohner-Grenze überschritten haben. Deren Zahl ist von 80 auf 365 auf das Vierfache angewachsen.

In den westlichen Industrienationen ist die Urbanisierung ein bereits bekanntes Phänomen. Weniger bewusst mag indes sein, dass in Lateinamerika und im karibischen Raum heute bereits mehr als 75% der dort lebenden Bevölkerung in Städten wohnen. Noch weisen zwar weite Teile Asiens und Afrikas eine überwiegend ländliche Struktur auf, doch der prognostizierte demographische Wandel wird auch dort den Anteil der städtischen Bevölkerung in den kommenden Jahren explosionsartig vervielfachen.

Die Tendenz des urbanen Wachstums ist rasant. Die Bevölkerungszahl in den Städten rund um den Globus steigt täglich um 180.000 Menschen. Die zunehmende Verstädterung entwickelt sich so explosionsartig, dass sie Stadtplaner und Individuum zu überrollen droht. Die derzeit am schnellsten wachsende Stadt der Erde ist die Hauptstadt Bangladeschs, Dhaka. Mit ca. 22 Millionen Einwohnern wird sie jüngsten Prognosen zufolge im Jahr 2015 die zweitgrößte Stadt der Welt sein - hinter Tokio. Vor einem halben Jahrhundert, 1950, zählte Dhaka noch weniger als 500.000 Einwohner. Auch die derzeitige 12-Millionen-Stadt Lagos, Nigeria, hat sich in Fläche und Bevölkerung in weniger als zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Während das 20. Jahrhundert im Zeichen der Verstädterung stand, wird das 21. Jahrhundert vom Wandel der Städte selbst geprägt sein. Urbanisierung und Globalisierung sind vom modernen Menschen nicht mehr zu trennen, sie sind Fakt des Lebens zu Beginn des dritten Jahrtausends. Die Stadt hat im Entwicklungsprozess zivilisatorischer Raumorganisation endgültig die Oberhand gewonnen. Die Evolution hin zu einer städtisch definierten Weltgesellschaft scheint nicht mehr umkehrbar.

Städte der Angst?

Mit dem Entstehen neuer Mega-Cities drohen auch ökologischer Kollaps, Angst, Kontrolle und Unfreiheit ins Gigantische zu wachsen.

Bereits seit einigen Jahren beobachten Urbanisten die architektonischen, stadträumlichen und demographischen Entwicklungen mit Sorge, denn mit dem Entstehen riesenhafter Metropolen gehen soziologische, ökologische und ökonomische Konflikte einher. Steuern wir zu auf eine ökologische Katastrophe und anarchische Gewaltzustände in den Städten? Bewegen wir uns hin zum "Urban Sprawl" im Sinne einer riesenhaften "Slumisierung"? Werden wohlhabende Viertel wie kleine Inseln im Ozean eines durch Armut geprägten einzigen Riesen-Vorortes schwimmen? Kommt es zur Abwärtsspirale der Armut, die Mike Davis in seinem im April 2004 veröffentlichten Essay "Planets of Slums" skizziert? Und ist dem Moloch Stadt in der Zukunft tatsächlich nur durch Kontrolle und Überwachung beizukommen? Längst hat die Realität die orwellschen Fiktionen des 20. Jahrhunderts eingeholt. So ging in der Großmetropole New York die Anzahl registrierter Tötungsdelikte zwischen 1993 und 2003 um zwei Drittel von 1927 auf 598 zurück. Der Grund für diese erstaunliche Entwicklung scheint in der Zunahme der Kontrolle zu liegen; die Stadt New York hat während der vergangenen zehn Jahre die Polizeipräsenz um ein Vielfaches verstärkt.

Herausforderung des neuen Jahrtausends

Gregory Guldin, Professor für Anthropologie an der Universität Wisconsin, hält die neue Form der riesenhaften Agglomeration für "einen bedeutenden neuen Zweig menschlicher Siedlung und Entwicklung, eine Form, die weder ländlich noch urban ist, sondern eine Vermischung von beidem, in denen ein dichtes Netz aus Transaktionen große urbane Kerne mit den sie umgebenden Regionen verbindet."

Es geht in der Konsequenz darum, für die Zukunftsgesellschaft Lösungsansätze zu finden, mit diesen neuen Formen der Stadtlandschaften ökologisch, gesellschaftspolitisch und ökonomisch fertig zu werden. Bezeichnenderweise hat die größte Rückversicherung der Welt, die Münchner Rück, angesichts der neuesten Prognosen der Vereinten Nationen und anlässlich der UN-Konferenz für Katastrophenbegrenzung jüngst eine Studie publiziert, die die Mega-Cities der Zukunft als hoch komplexe Großrisiken betiteln, die nicht mehr versicherbar seien.

Die zunehmende Gigantomanie der Verstädterung, ihre Anpassung an ökologischen und wirtschaftlichen Fortschritt sowie der Abbau sozialer Benachteiligungen zählen zweifelsohne zu den wichtigsten Aufgaben des neuen Jahrhunderts. Die Welt der Städte im Jahr 2025, so der Bericht der Weltkommission "Urban 21" aus dem Jahr 2000, wird im wesentlichen von der demographischen, der wirtschaftlichen, der gesellschaftlichen und der umweltpolitischen Entwicklung bestimmt. Gerade in Afrika und Asien, dort, wo nach jüngsten Statistiken der UN die Städte in den kommenden Jahren am explosionsartigsten wachsen werden, liegt die zentrale Herausforderung von Städteplanern, Politik und Gesellschaft.

Dieser Herausforderung muss in den einzelnen betroffenen Regionen durch Steuerung der urbanen Ausdehnung und mit der Entwicklung leistungsfähiger Infrastrukturen begegnet werden. Auf globaler Ebene bedarf es der vermehrten Nutzung erneuerbarer Energieformen sowie verstärkter Recyclingbemühungen. Nur so kann das Überleben der wachsenden Bevölkerung gesichert, die ansonsten unüberwindliche Rohstoffknappheit überwunden und eine Armutsspirale unvorstellbaren Ausmaßes verhindert werden.

Ausblick

Die Alfred Herrhausen Gesellschaft widmet sich in ihrem zweijährigen Projektzyklus "Urban Age" eben diesem Thema. Den Ergebnissen des Projektes, dessen Auftaktveranstaltung am 25. und 26. Februar 2005 in New York statt fand, darf man mit Spannung entgegen blicken.


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