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"Ein starkes Frankreich in einer starken EU"

Beobachtungen zum französischen Referendum zur EU-Verfassung

09.05.2005 · Ein Kommentar von Almut Metz



"Die Franzosen werden am 29. Mai 2005 für die EU-Verfassung stimmen".

Sollte sich diese Prognose als richtig erweisen, so wären sowohl die französische Führung als auch die EU haarscharf an einem politischen Erdbeben vorbeigeschrammt.

Die Franzosen werden das Referendum auch dazu nutzen, ihrer Unzufriedenheit mit der Pariser Regierung Ausdruck zu verleihen. Ein "Nein", das bereits beim Vertrag von Maastricht nur knapp abgewendet werden konnte (mit 51 Prozent für das Lager der Befürworter und 49 Prozent für die Gegner), würde die Regierung Raffarin nach dem Desaster der Regionalwahlen im März 2004 daher empfindlich treffen. Und Präsident Chirac wäre gleichermaßen politisch angeschlagen.

Aber auch für Frankreichs Rolle in der EU hätte eine gescheiterte Ratifizierung Ende Mai fatale Folgen. Frankreich, das sich selbst immer als Architekt des Integrationsprozesses sieht, stünde unvermittelt im europapolitischen Abseits. Andere Mitgliedstaaten würden dies vielleicht sogar mit ein wenig Schadenfreude zur Kenntnis nehmen. In jedem Fall wäre Frankreichs Ausgangsposition für die Europapolitik der kommenden Monate – etwa die schwierigen Verhandlungen zur nächsten Finanziellen Vorausschau – schlecht. Wie kraftvoll kann eine französische Führung nach außen auftreten, der in der Wahrnehmung der anderen EU-Mitgliedstaaten daheim das Volk die Gefolgschaft verwehrt?

Über diese kurzfristige Perspektive hinaus würde ein Scheitern des Referendums die tiefe Unsicherheit in Frankreich über die künftige Rolle in der erweiterten EU verschärfen: "Ein starkes Frankreich in einer starken EU" – dieses Credo hat in den letzten Monaten an Überzeugungskraft verloren. Gut ein Jahr nach der Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten ist heute mehr denn je fraglich, welche Gestaltungskraft Frankreich überhaupt noch hat. In nationalen Strukturreformen verheddert und gemeinsam mit Deutschland auf der Bank der Defizitsünder, scheint nicht nur Frankreich, sondern auch das deutsch-französische Tandem an Wirkungsmacht verloren zu haben. Selbst Deutschland und Frankreich, zwei der größten EU-Mitgliedstaaten, sind in der großen EU nicht mehr hinreichende Bedingung, um die Geschicke der Integration zu steuern. Die Erweiterung ist gerade für ein Land wie Frankreich, das sich selbstverständlich als Führungsnation versteht, Anlass, seinen Platz in der EU neu zu verorten. Ein Scheitern des Referendums wäre in dieser Hinsicht ein erheblicher Rückschlag.

Gar nicht zu sprechen von dem Signal, das von der französischen Abstimmung für die Ratifizierung in den noch folgenden Mitgliedstaaten ausgehen könnte. Frankreich am Ursprung des langsamen Endes der EU-Verfassung – eine bittere Pille für das Land der Schumans, Monnets, Delors' und Mitterrands.

Weil die Franzosen empfänglich für Szenarien des eigenen Bedeutungsverlustes sind, und weil es den Verfassungsbefürwortern im letzten Moment gelungen ist, diese Karte zu spielen, ist es durchaus wahrscheinlich, dass der 29. Mai 2005 kein Tag des Scheiterns wird. Aber ein gewonnenes Referendum wird kein Erfolg sein, den sich Präsident und Regierung glaubhaft auf die Fahnen schreiben können. Präsident Chirac hatte von Anfang an den grundlegenden Fehler begangen, das Referendum defensiv anzugehen. Er hatte sich im Sommer 2004 mehrfach für einen frühen Referendumstermin ausgesprochen, um eine Vermischung der Abstimmung zur Verfassung mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Oktober 2005 zu verhindern. Die Franzosen stehen einem türkischen Beitritt skeptisch gegenüber. Von Beginn an hatte das Thema Ratifizierung damit einen Schönheitsfehler. In der Folgezeit unternahm die französische Führung keinen ernsthaften Versuch, dem Volk die tatsächlichen Inhalte der EU-Verfassung zu vermitteln und die Verfassung positiv zu besetzen. Damit überließ sie den Verfassungskritikern die – durchaus lebhafte – Debatte. Erst im Frühjahr 2005, zu einem Zeitpunkt, als eine negative Prognose zum Ausgang des Referendums auf die andere folgte, kündigte Chirac an, sich nun ganz dem Thema Verfassung widmen zu wollen. Offenbar hatte er bis dahin geglaubt, das Referendum mit einer Mischung aus Arroganz gegenüber der Stimmung im Volk und seinem Glauben an "das Gute" der europäischen Integration gewinnen zu können.

Wenn das Referendum am 29. Mai in Frankreich tatsächlich gewonnen wird, dann hätte dies vor allem zwei Gründe:

Erstens könnte den Verfassungskritikern auf der Zielgeraden die Luft ausgehen. Wahlkämpfer wissen, wie schwierig es ist, jedes noch so gute Thema – und das "Soziale Europa" wäre durchaus eines – über Wochen hinweg spannend zu halten. Irgendwann ist in den Medien alles gesagt, und die potenzielle Wucht des Themas verpufft. So wurde aus der Diskussion um die Frage, ob die Verfassung ein neoliberales Europa zementiere, zunehmend eine Debatte zum möglichen französischen "Nein" und den Folgen eines Scheiterns. Vielleicht aber zeigen sogar ein Stück weit die Versuche der Befürworter Wirkung, den Franzosen glaubhaft zu erklären, dass die EU-Verfassung nicht entscheidend dafür sein wird, ob es gelingt, ökonomische Prosperität und soziale Verantwortung in Einklang zu bringen. Denn dies entscheidet sich letztlich erst in der konkreten Ausgestaltung der Europapolitik.

Und zweitens könnten die Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs Anfang Mai den zuletzt beherzter auftretenden Verfassungsbefürwortern in die Hände spielen. In historischer Perspektive lässt sich äußerst wirkungsvoll auf die französische Rolle bei der Einigung des Kontinents nach zwei verheerenden Kriegen im 20. Jahrhundert hinweisen. In dieser Perspektive ist eine EU ohne Frankreich schlicht nicht denkbar. Und Frankreich kann in derselben Logik die Rolle des Gestalters nur spielen, wenn es das neue Grundlagendokument, das die EU handlungsfähiger und transparenter machen wird, ratifiziert.

Wenn am Ende des Tages doch ein französisches "Ja" steht, dann dürfte sich auch in Berlin Erleichterung breit machen. In Deutschland ist es gelungen – trotz kleiner "Ausreißer" wie der letztlich erfolglosen Verfassungsklage des Bundestagsabgeordneten Gauweiler und des Vorstoßes der Bundesländer Ende April 2005 – eine Debatte zur EU-Verfassung zu unterbinden. Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt wird der Bundestag in dieser Woche, am 12. Mai 2005, die Verfassung ratifizieren. Der Bundesrat wird am 27. Mai folgen. Das schlichte Fehlen eines Referendums hat es möglich gemacht, die Ratifizierung im größten EU-Mitgliedstaat am Bürger vorbei zu organisieren. Die Kampagne der Bundesregierung beschränkte sich auf ein inhaltsleeres "Europa tut Deutschland gut". Bundeskanzler und Außenminister haben sich weit mehr in Frankreich für die Ratifizierung engagiert als in Deutschland. Der französische Bürger hat – unabhängig vom Ausgang des Referendums – seinem deutschen Nachbarn daher einiges voraus: Das Wissen um die Existenz einer EU-Verfassung. Beim Referendum zum Vertrag von Maastricht lag die Wahlbeteiligung immerhin bei siebzig Prozent.


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