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Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945 – 1963 – 2003

Hat das deutsch-französische Tandem noch eine Zukunft?

Corine Defrance / Ulrich Pfeil (Hrsg.): Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945 – 1963 – 2003

Erschienen als Band 71 der Reihe "Pariser Historische Studien" (hrsg. vom Deutschen Historischen Institut Paris), Oldenbourg Verlag, ISBN 3-486-57678-X, 291 Seiten, München 2005.

11.02.2005 · Rezension von Almut Metz




Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac.

Hat das deutsch-französische Tandem noch eine Zukunft? Diese Frage hat gegenwärtig Hochkonjunktur und wird in der Regel mit Pessimismus beantwortet: Das gebündelte Gewicht der Rheinnachbarn reiche in der EU-25 nicht mehr aus, um den künftigen Integrationsprozess zu gestalten, ohnehin sei dessen Zukunft nach den Großprojekten Erweiterung und Verfassung ungewiss, es fehle die große Vision. Und Deutschland und Frankreich eine derzeit vor allem eines – der Widerstand gegen Sanktionen wegen des wiederholten Verstoßes gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Der von Corine Defrance und Ulrich Pfeil herausgegebene Band "Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945 – 1963 – 2003" kommt daher zum richtigen Zeitpunkt. Er zeigt auf, dass die deutsch-französischen Beziehungen heute mehr sind als ein gelegentlicher situativer Schulterschluss der politischen Entscheidungsträger. Sie haben sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der den Tiefpunkt des Verhältnisses beider Länder markierte, zu einem stabilen Beziehungsgeflecht auf vielerlei Ebenen – Wirtschaft, Kultur, Jugend – entwickelt.

Jenseits eines hehren Pathos beleuchten die Autoren, allesamt profilierte Experten zu den deutsch-französischen Beziehungen, aus Anlass des 40jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrags vom 22. Januar 1963 die Höhen und Tiefen dieser einzigartigen bilateralen Zusammenarbeit. „Auf dem Weg zum Élysée-Vertrag", so ist das erste Kapitel überschrieben und umfasst mit den Beiträgen von Hans-Peter Schwarz und Jacques Bariéty zwei pointierte Analysen der Annäherung aus deutscher und französischer Perspektive. Diese legen nicht nur die Motivlagen der ehemaligen Kriegsgegner dar, sondern ordnen die ersten Schritte auch in den breiteren historischen Kontext – Nachkriegszeit, Beginn der Blockkonfrontation und des europäischen Einigungsprozesses – ein. Schwarz unterstreicht angesichts der Wirren um die Entstehungsgeschichte des Freundschaftsvertrags dessen letztlich verblüffende Entwicklung: "In der Tat war das Konzept eines exklusiven deutsch-französischen Zweibundes eine Totgeburt (...). Das eigentlich Wunder aber ist, (...), dass aus dieser Totgeburt eine Art Lebewesen wurde, ein in der neueren Diplomatiegschichte sehr einzigartiges Lebewesen." Abgerundet wird diese erste Etappe von 1945 – 1963 durch eine Rekonstruktion des Zeugnisses von Alain Peyrefitte, Politiker und Diplomat, der zwischen 1959 und 1969 rund 300 Gespräche mit Charles de Gaulle geführt hat. Henri Ménudier zitiert dabei eine Vielzahl von Originaltönen, die schmunzeln lassen (de Gaulle über die zögerlichen deutschen Parlamentarier: "Sie benehmen sich wie Schweine."), gleichzeitig aber den General und die ersten deutsch-französischen Annäherungsschritte entmusealisieren.

Erfrischend auch der Ansatz der zwei folgenden Kapitel, "Was der Élysée-Vertrag regelt" (Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, Erziehungs- und Jugendfragen) und "Was der Élysée-Vertrag nicht regelt" (Wirtschaft und Kultur). Der Leser erfährt nicht nur, warum diese Themen nicht in den Vertrag aufgenommen wurden, sondern auch in gesonderten Kapiteln  wie die Zusammenarbeit "außerhalb des Vertrags" in diesen Feldern sukzessive ausgebaut wurde. Es mag überraschen, dass sich der Austausch in den Bereichen, die gerade nicht von dem Dokument umfasst sind, bis heute besonders intensiv entwickelt hat. Eine weitere Merkwürdigkeit des Vertrags, der zu der Frage verführt, ob die Dinge auch ohne diesen so gekommen wären.

Das vierte Kapitel schließlich stellt einen Aktualitätsbezug her. Robert Frank diskutiert zunächst die Frage, ob der Élysée-Vertrag heute ein deutsch-französischer Erinnerungsort sei. Franks Antwort ist verhalten positiv, der Freundschaftsvertrag sei heute durchaus dazu geeignet, "Symbole zu produzieren, die den Aufbau einer deutsch-französischen Gemeinschaft emotional unterlegen". Fraglich sei nur, ob er dies auch dauerhaft zu leisten vermöge. Colette Mazzucelli beleuchtet die Funktion des Vertrags aus heutiger Perspektive. Dabei weist sie vor allem auf die wichtige Rolle der deutsch-französischen Zusammenarbeit im europäischen Einigungsprozess hin, ein Thema, dem man im Buch durchaus ein gesondertes Kapitel hätte widmen können. Denn die deutsch-französische Kooperation ist untrennbar mit Europa verbunden.

Abgerundet wird der in sich durchaus stimmige Band, der allerdings noch einige zusammenfassende Bemerkungen der Herausgeber vertragen hätte, durch den Text des Élysée-Vertrags und eine Rede von Hans-Dietrich Genscher, die dieser aus Anlass des 40. Jahrestages an der Pariser Sorbonne gehalten hat.

Besonders zu empfehlen ist das Buch im Hinblick auf die historische Perspektive, da es einen gleichermaßen fundierten wie spannenden Einblick in die Entstehungsgeschichte und die ersten Schritte der deutsch-französischen Zusammenarbeit ermöglicht.


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