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Jetzt wird es ernst

Zum Besuch von US-Präsident Bush in Europa

19.02.2005 · Position von Sebastian J. Brökelmann



Die transatlantischen Beziehungen befinden sich auf einem Schmusekurs, wie es unter der ersten Amtsperiode von Präsident George W. Bush undenkbar gewesen wäre. Frühere und immer noch bestehende Konflikte werden einfach klein geredet. Jetzt muss diese Zeit der Rhetorik so schnell wie möglich durch eine Zeit des gemeinsamen Handelns abgelöst werden.

Beispiel NATO

Die Verwirrung um den Vorstoß von Bundeskanzler Schröder zur Reform der NATO verdeutlicht zweierlei: Ungeschick und Unwillen zum großen strategischen Wurf. So hat die NATO selber schon derartige Pläne zur eigenen Reform vorgelegt, ohne die die NATO heute nicht in Afghanistan stehen könnte, die mitunter jedoch auch an mangelndem politischen Interesse der wichtigsten NATO-Mitgliedstaaten insbesondere bezüglich Finanzierung und Truppenbereitstellung gescheitert sind. Der Vorstoß des Kanzlers war nicht nur inhaltlich schlecht vorbereitet, sondern auch anstatt an die NATO-Staaten selber an die EU und die USA adressiert – womit Schröder nichteuropäische Alliierte wie Kanada brüskierte und implizit bestätigte, dass die NATO für ihn nicht die entscheidende Rolle spielt. Auch traditionelle Freunde Deutschlands und Förderer der transatlantischen Beziehungen, wie die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright, kritisieren daher das Vorgehen Schröders. Die Bundesregierung muss nun viel diplomatische Arbeit leisten, um die Verwirrungen zu zerstreuen und die Reform der NATO zu vollenden, die dem Bündnis bereits klare Aufgaben zuweist und ihm hierfür auch die nötige Effektivität sichern muss.

Doch es bleibt die strategische Frage über die Zukunft der NATO. Die NATO, die schon häufiger totgesagt wurde, wird durch den Besuch von Präsident vordergründig gestärkt, und der plötzliche Interessenschub aus Washington könnte der Allianz in der Tat neues Leben einhauchen. Doch dafür müssen die Alliierten eine Antwort auf die strategische Frage liefern, wie die sicherheitspolitische Dreiecksbeziehung aus USA – NATO – EU bzw. ESVP aussehen und auf weltpolitische Herausforderungen reagieren soll. Solange hierauf keine konsensuale Antwort gefunden ist und der Anschein bestehen bleibt, dass das Erstarken der ESVP die NATO nachhaltig in den Schatten stellt, bleibt den Amerikanern nichts anderes übrig, als gegebenenfalls auf unilaterale Maßnahmen bzw. sog. "coalitions of the willing" zu rekurrieren.

Beispiel Europäische Union

Da Bundeskanzler Schröder jedoch nicht Unrecht hat, wenn er indirekt feststellt, dass die NATO in den letzten vier Jahren als transatlantisches Konsultationsforum an Bedeutung eingebüßt hat, ist es legitim, über andere Konsultationsformen nachzudenken. Für die Aufgaben, die der NATO zugewiesen wurden, muss die NATO auch der primäre Konsultationsort sein und bleiben. Für andere Aufgaben können es andere Fora sein. Der Besuch von Präsident Bush bei der Europäischen Union eröffnet daher langfristig die Möglichkeit, den momentan noch weitgehend ungenutzten Rahmen der EU-US-Gipfeltreffen auszubauen und transatlantische Interessen im gesamten Aufgabenspektrum der EU zu beraten. Ansätze hierzu gibt es bereits, z.B. im Bereich der Handels- und Wettbewerbspolitik. Doch das weitaus größere Spektrum der Aufgaben der EU wird bislang für transatlantische Konsultationen zu wenig genutzt. Dabei muss bedacht werden, dass EU und USA in vielen Gebieten gleichzeitig Partner und Rivalen sind, was den Druck zu Konsultationen erhöht.

Doch insbesondere im Gebiet der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss auch der Sprung über den eigenen Schatten in Erwägung gezogen werden. Um die ESVP effektiv zu gestalten, ist die Kooperation unter den "EU-3" Frankreich, Großbritannien und Deutschland nötig, wie das Gipfeltreffen von St. Malo ebenso wie die Transformation und Verfügbarkeit der nötigen Truppenteile verdeutlichen. Insbesondere Großbritannien und zu einem nicht unwichtigen Anteil auch Deutschland kommt darüber hinaus die wichtige Scharnierfunktion als Vermittler der ESVP gegenüber den USA zu, um die ESVP nicht als Gegenmodell zur NATO und als Gegenblock zu den USA erscheinen zu lassen. Sicherheitspolitische Aktionen außerhalb des NATO-Rahmen könnten daher in diesem "strategischen Quartett" aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA konsultiert werden. Effektivität wäre dadurch ebenso gesichert wie die Vermeidung eines Zerwürfnisses entweder zwischen den USA und Europa oder innerhalb Europas. Dies mag anderen Mitgliedern der EU, insbesondere Polen, Spanien, Italien, aber auch den kleineren Mitgliedern, sauer aufstoßen – für die Effektivität ist es jedoch unausweichlich.

Beispiel Kyoto

Nicht nur im sicherheitspolitischen Bereich muss der Bush-Besuch für neue, mutige Schritte genutzt werden. Gerade im Bereich Umwelt und internationales Recht prallen die unterschiedlichen Mentalitäten der europäischen Prozessversessenheit und der amerikanischen Ergebnisversessenheit aufeinander. Die Europäer sind so stolz auf das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls und pochen gleichzeitig weiter so eisern auf einen Beitritt der USA, dass sie darüber weitgehend ignorieren, dass die EU selber weit von einem Erreichen der in Kyoto festgelegten Ziele der Reduktion von Treibhausgasen entfernt ist. Die klimapolitische Dämonisierung der USA führt vielmehr dazu, dass zahlreiche Initiativen zur Senkung der Emissionen im US-Kongress (wie z.B. von dem demokratischen Senator Joe Lieberman und dem Republikaner John McCain) oder auf Bundesstaatenebene wie in Kalifornien schlicht ausgeblendet werden.

Dabei ist vielen Experten klar, dass Kyoto ein ökonomisch wie ökologisch schwacher Kompromiss ist, dessen eigentlicher Wert vielmehr darin liegt, dass sich mit 141 Mitgliedern die Mehrzahl der Staaten der Erde in einem Papier zur Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet haben. Doch die weltwirtschaftliche Situation heute hat sich gegenüber 1997, als das Protokoll verabschiedet wurde, stark geändert, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Rolle Chinas und Indiens. Dass beide Länder ihren wirtschaftlichen Aufstieg mit rasant steigenden Emissionen finanzieren können, sollte nicht nur die USA, sondern alle Signatarstaaten zum Überdenken des Kyoto-Protokolls anregen. Viel wichtiger als das Beharren auf einem Beitritt der USA ist daher das Denken über Kyoto hinaus, sowohl was eine Einbeziehung Chinas und Indiens sowie anderer Schwellenländer angeht, als auch was die Ausgestaltung gemeinsamer Klimaschutzziele nach dem Auslaufen von Kyoto im Jahr 2012 angeht. Dies wird umso wichtiger als die EU selber sich auf die Situation vorbereiten muss, im Jahr 2012 das Scheitern vor den eigenen Emissionssenkungszielen einräumen zu müssen.

Beispiel Internationaler Strafgerichtshof (ICC)

Ähnliches gilt für den Internationalen Strafgerichtshof: Selbst wenn ein Beitritt der USA zum Römischen Statut dringend wünschenswert wäre und der moralische Doppelstandard zur Bemessung von Kriegsverbrechen eklatant ist, bringt es mehr, den ICC in seiner jetzigen Form zur Blüte zu bringen und den USA eine Zusage abzutrotzen, dass sie keine Strafmaßnahmen gegen Staaten ergreifen, die den ICC unterstützen, als durch moralische Überheblichkeit und beständiges Drängen auf einen US-Beitritt das gerade erst wieder erstarkende transatlantische Verhältnis zu belasten.

Denn die undifferenzierten Forderungen nach einem Beitritt zum Kyoto-Protokoll und zum Statut des ICC (gefolgt von weiteren Forderungen nach Beitritt zur Bio- und Chemiewaffenkonvention, Kinderrechtskonvention, Ottawa-Protokoll zur Ächtung von Antipersonenminen etc.) zeugen im transatlantischen Verhältnis primär von Unwissen über die Mentalität und Psyche des amerikanischen Volkes ebenso wie des politischen Entscheidungsprozesses in den USA und sind somit wenig hilfreich.

Die Forderungen an die Regierungschefs der USA und Europas sind folglich klar:

  • Iran: US-Unterstützung für die diplomatische Mission der Europäer mit gleichzeitiger nachdrücklicher Bestätigung der Europäer, keine iranischen Atomwaffen zu akzeptieren.

  • Irak: Mehr europäisches Engagement im Irak, finanziell wie militärisch zur Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte und im Gegenzug dafür mehr multilaterale Konsultation durch die USA.

  • Kyoto: Das Streben nach gemeinsamen Zielen muss wichtiger sein als das Streben nach gemeinsamen Prozessen. Daher sollte Europa Klimaschutzbemühungen innerhalb der USA unterstützen, anstatt sich primär auf Kyoto zu fokussieren.

  • Internationaler Strafgerichtshof: Die USA müssen behutsam an den ICC herangeführt werden und dieser muss zuerst seine Effektivität beweisen. Eine Politik der kleinen Schritte bringt mehr als das notorische Pochen auf Anerkennung durch die USA.

  • Handelspolitik: Die derzeitige Phase der handelspolitischen Entspannung durch die Beilegung des Streits um die sogenannten Foreign Sales Corporations und die Aussetzung des Verfahrens zur außergerichtlichen Einigung über die Subventionen an Boeing und Airbus sollte genutzt werden, um die eigentlichen Herausforderungen für den transatlantischen Handel anzugehen. Diese liegen vielmehr im wirtschaftlichen Erstarken von China und Indien sowie dem Abschluss der Welthandelsrunde.

  • Rüstungspolitik: Das Wiedererstarken der NATO sollte mit einer transatlantischen Rüstungspolitik gekoppelt sein. Dem jüngst umstrittenen MEADS-Projekt eines Luftabwehrraketensystems kommt daher besondere Bedeutung zu. Ebenso wie verschiedene europäische Rüstungsprojekte jenseits einer reinen Kostenrationalität gefördert und durchgeführt wurden (Eurofighter, Transport Airbus A-400 M), um europäische Rüstungskapazitäten aufzubauen, sollte das MEADS-Projekt auch vor dem politischen Hintergrund der Bedeutung transatlantischer Rüstungsprojekte gesehen werden. Dies ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn europäische Rüstungskonzerne in einen bislang abgeschotteten amerikanischen Markt vorstoßen wollen, wie z.B. Airbus mit der Lieferung von Lufttankflugzeugen an das Pentagon.

Um diese Ziele zu erreichen müssen nicht nur die Europäer bereit sein, alte Zöpfe abzuschneiden. So muss auch die konservative Elite der USA erkennen, dass Europa heute nicht mehr ist, was es noch 1985 war. Europa entfernt sich von den USA mehr, als sich die USA von Europa entfernen. Dieser Umstand liegt weniger in mentalen als vielmehr in geopolitischen Veränderungen der letzten 15 Jahre begründet und ist somit nicht aufzuhalten. Europa ist nicht mehr der zu protegierende Vasall der USA und kann auch nicht mehr als solcher behandelt werden. Die Folge ist nicht nur die Emanzipation Europas, sondern auch Rivalität zwischen USA und EU in verschiedenen Bereichen. Dies zu verkennen und Europa oder einzelne Staaten als undankbar darzustellen, weil sie angeblich die amerikanischen Leistungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg missachteten, ist sonst ebenso wenig hilfreich.

Der Besuch von U.S. Präsident Bush muss daher in verschiedener Hinsicht genutzt werden, um der gegenwärtigen Rhetorik zur Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen in den kommenden Wochen und Monaten auch adäquate Aktionen folgen zu lassen. Aktionsfelder gibt es genügend, ebenso wie Raum für Kompromissfindungen. Der Besuch von Präsident Bush bietet eine große Chance, die nicht vertan werden darf.


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