C·A·P Home > Aktuell > positionen > 2004 > Kosovo - eine schwere Verantwortung

Kosovo - eine schwere Verantwortung

Lage und Lösungsoptionen

11.06.2004 · Bertelsmann Forschungsgruppe Politik



"Der Mensch sei keine Maschine" erklärte am 25. Mai 2004 der Chef der UNMIK-Verwaltung in Kosovo, Harri Holkeri. Damit meinte er aber nicht die Schwierigkeiten im albanisch-serbischen Versöhnungsprozess, sondern bekräftigte so seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen vom Posten des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kosovo. Hiermit wurde der Bericht vom 11. Mai an den Sicherheitsrat zu seiner letzten wichtigen Amtshandlung.

Mit Holkeris Rücktritt hat Kosovo in weniger als fünf Jahren vier internationale Verwalter verschlissen: Bernard Kouchner, Hans Haekkerup, Michael Steiner und Harri Holkeri. Der mühsame Versöhnungsprozess, zu dem jeder der vier UNMIK-Chefs seinen Beitrag geleistet hat, schien auf bestem Wege, als sich im Juni 2003 beide Parteien - Albaner und Serben - bereit erklärten, direkte Verhandlungen über Nicht-Statusfragen aufzunehmen (Stellungnahme von UNMIK zu Holkeris Rücktritt).

Holkeris kurze Amtszeit vom September 2003 bis Mai 2004 wird jedoch durch die schweren Unruhen vom 17./18. März 2004 markiert, den schwersten Rückschlag überhaupt im Stabilisierungsprozess: Diese gegen Serben, andere Minderheiten, aber teils auch gegen UNMIK gerichtete Gewaltwelle, die mehr als zwanzig Menschen das Leben kostete, war von den Internationalen weder vorhergesehen noch kontrolliert worden. Harri Holkeri wurde von vielen Seiten schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. Auch der serbische Regierungschef Vojislav Kostunica zeigte sich über den Rücktritt des Sonderbeauftragten nicht überrascht - seiner Meinung nach sei Holkeri, wie die meisten seiner Amtsvorgänger, offenbar nicht in der Lage gewesen, einerseits die komplizierten Verhältnisse im Kosovo zu überblicken und andererseits ausreichend Mut aufzubringen, um sich mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen. Der Leiter des Koordinationszentrum für Kosovo und Metohija, Nebojsa Covic, äußerte sich nicht weniger deutlich: "Ich war der erste, der nach den Unruhen im März den Rücktritt von Holkeri forderte".

Weitere Reaktionen der serbischen Politiker finden Sie unter der Adresse www.blic.co.yu.

Die am 17. März explodierte Gewalt, der von UNMIK-Verwaltung und KFOR-Einheiten kein Einhalt geboten werden konnte, vertrieb in weniger als 48 Stunden mehr als 4.000 Mitglieder der serbischen Minderheit (mehr als im Vorjahr insgesamt zurückgekehrt waren). 30 serbische orthodoxische Kirchen, 2 Klöster und 700 Wohnhäuser von Serben, Roma und Aschkali wurden zerstört. Die Ereignisse in Kosovo machten sowohl Europa als auch den Vereinigten Staaten klar, dass die Lektionen aus dem Kriegsjahr 1999 nicht gelernt wurden und dass Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad ziemlich aussichtslos waren. Dies, nachdem im November 2003 die Amerikaner vorgeprescht waren und nach den technischen Verhandlungen und der Erfüllung der acht UN-Standards Mitte 2005 direkte Verhandlungen über die Statusfrage eröffnet werden sollten. Nach dem neuen Gewaltausbruch im März befindet sich der Stabilisierungsprozess fast wieder dort, wo er vor fünf Jahren mühsam angefangen hatte.

Berichte über die Ereignisse und Analysen der Unruhen im März 2004 finden Sie auf der Website des Institute for War and Peace Research.

Die Kosovo-Frage 1999-2004

Nach dem Ende des Kosovokrieges im Juni 1999 bestimmte der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1244, dass Kosovo de jure unter jugoslawischer Souveränität verbleiben, zwischenzeitlich jedoch von UNMIK verwaltet werden würde. Im jugoslawischen föderalen System war Kosovo formell (wie die Vojvodina) eine Provinz der serbischen Republik, verfügte aber über ein so hohes Maß an Autonomie, dass es einen eigenen Vertreter im Föderationsrat hatte und dass auch Mittelzuwendungen direkt von der Bundesebene an Pristina flossen. Auf dieser Grundlage ließe sich für Kosovo das nach der jugoslawischen Verfassung nur Republiken zustehende Sezessionsrecht reklamieren. Andererseits erwähnt Res. 1244 Kosovo nur als Teil Jugoslawiens, nicht als Provinz Serbiens. Kreative Verfassungsrechtler haben daraus geschlussfolgert, dass Kosovo somit "automatisch" die Unabhängigkeit erlangen würde, sobald die Bundesrepublik Jugoslawien aufhöre zu existieren. Die Brüsseler schrieben somit der neuen Staatenunion Serbien und Montenegro ins Stammbuch, dass "wenn Montenegro aus der Staatenunion ausscheidet, internationale Dokumente, die sich auf die BRJ beziehen, insbesondere die UN-Sicherheitsratsresolution 1244, sich auf Serbien als ihren Nachfolger beziehen und voll darauf zutreffen werden."

Die Frage, ob Kosovo heute nur zu Serbien und Montenegro oder auch zu Serbien gehört, blieb damit offen, aber für den Fall einer Sezession Montenegros ist vorgesorgt. (Nur die hypothetische Möglichkeit eines serbischen Austritts aus der Staatenunion wurde übersehen). Seitdem haben in Kosovo im November 2001 Parlamentswahlen stattgefunden und wurden die Institutionen einer Interim-Selbstverwaltung eingerichtet mit Ibrahim Rugova als Präsident und Bajram Rexhepi als Premier. Wichtige Politikbereiche wie "Außenbeziehungen", Sicherheit und Justiz gehören jedoch nach wie vor zur Prärogative der UNMIK-Verwaltung.
Die zeremonielle Eröffnung "technischer" Verhandlungen zwischen Kosovo und "Belgrad" in Wien am 14. Oktober 2003 bedeutet eine späte Genugtuung für Holkeris Vorgängers Michael Steiner, dessen politisches Mantra - Standards vor Status - Kosovaren und Serben nach Wien gebracht hat. Beim EU-Westbalkan-Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 wurde die beidseitige Bereitschaft, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, zelebriert. Dabei ist den Verhandlungsvermittlern klar, dass zwischen den beiden Nachbarn zahlreiche praktische Fragen geklärt werden müssen, und dies ungeachtet der Frage, ob Kosovo mittelfristig unabhängig wird oder nicht. In der harten politischen Realität sind jedoch jede protokollarische Entscheidung und jedes technische Verhandlungsthema eine verkappte Statusfrage. Bei den von der UN vermittelten Verhandlungen wird jede Partei versuchen, die Frage des finalen Status des Kosovo zu präjudizieren. Die Zahl der Fußangeln und Klemmen für die UN-Verhandlungsführer ist ungeheuer groß.

Die beiden Delegationen trafen sich im Wiener Bundeskanzleramt unter dem wachenden Auge der neubelebten Kontaktgruppe sowie von Lord George Robertson für die NATO, Jaap de Hoop Scheffer für die OSZE und Javier Solana für die EU. Serbien und Montenegro wurde vom serbischen Premier Zoran Zivkovic und dem Kosovo-Beauftragten Nebojsa Covic vertreten. Ein herber Rückschlag war die Absage in letzter Minute des kosovarischen Premiers Bajram Rexhepi, wonach nur Präsident Ibrahim Rugova und Parlamentspräsident Nedzad Daci anreisten. Nach einem kurzen, öffentlichkeitswirksamen Treffen wurde formell beschlossen, vier Arbeitsgruppen einzurichten, die ab November (abwechselnd in Belgrad und Pristina) über Elektrizitätsversorgung für Kosovo, Grenzverkehr, Flüchtlingsrückkehr und Vermisste beraten werden. Noch vor den Unruhen schien jedoch der Dialog in den Arbeitsgruppen ins Stocken geraten zu sein ...

Vorläufiges Fazit ist, dass die politische Führung in Belgrad ebenso wenig Ideen für eine tragfähige und innenpolitisch vertretbare Kosovo-Lösung hat wie ihre Gesprächspartner in Pristina für die serbische Minderheit in einem von allen angestrebten unabhängigen Kosovo. Schwerwiegender ist noch die Tatsache, dass auch die internationale Gemeinschaft, trotz Eröffnung der Verhandlungen, keine Lösung für die Statusfrage parat hält. Dagegen verfolgen bereits jetzt Albaner in Mazedonien und Serben in Bosnien mit Argusaugen die ersten Verhandlungsschritte zwischen Belgrad und Pristina. Junktims wie ein Anschluss der bosnischen Republika Srpska an Serbien im Falle des Verlustes des Kosovo werden bereits jetzt vorsorglich formuliert. Albaner in Südserbien und Mazedonien ebenso wie Serben in Nordkosovo könnten ebenso versucht sein, sich mit Waffengewalt ins Spiel zu bringen oder die Verhandlungen gar zu torpedieren. Die Unruhe in Südserbien und neueste Übergriffe in Kosovo und Mazedonien sind Indizien, dass die Verhandlungen möglicherweise Friedenswillige, aber ganz gewiss auch Gewaltbereite auf den Plan bringen.

Die Status-Frage erneut auf der Tagesordnung
In der heutigen Situation entstand eine dreifache gegenseitige Pattstellung in den Verhandlungen. Erstens droht im UN-Sicherheitsrat jederzeit ein Veto gegen Kosovos Abtrennung von Belgrad und seine Unabhängigkeit. Zweitens bilden Pristinas und Belgrads Unfähigkeit und Unwilligkeit, in der Statusfrage Kompromisse einzugehen, ihrerseits eine bilaterale Blockade ohne eine Spur von Hoffnung für internationale Vermittler. Drittens ist auch das lokale Verhältnis zwischen der albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit in Kosovo völlig verfahren.
Das Spektrum der wissenschaftlichen Ansätze zur Lösung der Kosovo-Problematik ist außerordentlich breit und reicht von denen, die Kosovo als eine dritte Republik in die Staatenunion Serbien und Montenegro eingliedern möchten, bis zur ethnischen Teilung von Kosovo einschließlich territorialer Kompensation. Eine aktuelle Übersicht über Studien und Optionen zur Status-Frage Kosovo ist hier {link zu ÜbersichtOptionenKosovo.doc} zusammengestellt.
Ihren eigenen Lösungsansatz entwickelten auch CAP und Bertelsmann Stiftung. Das Konzept beruht auf der Idee eines UN-"Trusteeship" für Kosovo - die rechtliche (nicht nur wie bisher nur faktische) Übertragung der Souveränität an die UN.

Nach diesem Konzept soll die juristische Souveränität Belgrads über das Kosovo vollständig annulliert und durch ein zeitlich unbefristetes UN-Mandat des Weltsicherheitsrates ersetzt werden. Nach dem Vorbild Bosniens soll die Kontrolle auf eine repräsentative Regierung unter der Aufsicht einen Hohen Repräsentanten übergehen, die weiterhin die Staatsaufgaben nach innen wahrnimmt. Die UN-Verwaltung im Zusammenwirken mit der provisorischen Selbstregierung übernimmt zusätzlich die Aufgabe des Minderheitenschutzes, der öffentlichen Sicherheit und der völkerrechtlichen Vertretung. Nur ein UN-Mandat könne so die Voraussetzungen für ein funktionierendes Staatswesen und eine langfristige wirtschaftliche und soziale Konsolidierung schaffen. Die UN werde auf diesem Weg die Garantien für den Schutz der serbischen Minderheit gewährleisten. Die Serben würden ihrerseits bewegt, mit den örtlichen Behörden konstruktiv zusammen zu arbeiten und ihre politischen Parallelstrukturen mit der Ausrichtung auf Belgrad aufzugeben. Der albanischen Mehrheit würde die Bedrohung einer "jugoslawischen Restauration" genommen, ohne ihr gleichzeitig das Ziel einer späteren Unabhängigkeit grundsätzlich abzusprechen.

Hintergründe und Reaktionen

Kosovo's Fifth Anniversary - On the Road to Nowhere?
C·A·P Working Paper, München 03/2004

Die Idee einer derartigen "Trusteeship"-Lösung spielte vor Jahren bereits kurzfristig eine kleinere Rolle in der Statusdebatte (siehe Kofos) und wurde in Anlehnung an dem Bertelsmann/C·A·P-Papier von der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag als "EU-Trusteeship" erneut angedacht.

Erste internationale Reaktionen auf das Bertelsmann/CAP-Papier und den Trusteeship-Vorschlag:

Studien zu Lösungsoptionen für die Statusfrage Kosovo

European Stability Initiative. The Lausanne Principle - The Future of the Kosovo Serbs. Berlin, Pristina, June 2004

European Stability Initiative. The Future of Mitrovica: People or Territory? A Proposal for Mitrovica. Berlin, Feb. 2004

Stiftung Wissenschaft und Politik. Kosovo 2004. Optionen deutscher und europäischer Politik, Berlin, Jan. 2004

United States Institute for Peace. Kosovo Decision Time: How and When? Special Report, Washington, Feb. 2003

CSIS/DPAP: Kosova - Achieving a Final Status Settlement, January 2003

United States Institute for Peace. Simulating Kosovo: Lessons for Final Status Negotiations, Special Report, Washington, Nov. 2002

International Crisis Group. A Kosovo Roadmap (I-II), ICG Balkans Report 125-126, Brussels, March 2002

Independent International Commission on Kosovo, Kosovo Report, Oct. 2000; Update, Nov. 2001

Dimitrios Triantophyllou (ed.) Dana H. Allin, Franz-Lothar Altmann, Marta Dassu, Tim Judah, Jacques Rupnik and Thanos Veremis. What Status for Kosovo? EU Institute for Security Studies, Paris Chaillot Paper 50, Oct. 2001

Stiftung Wissenschaft und Politik. Optionen für die Zukunft des Kosovo, SWP-Studie 21, Berlin, 2001

United States Institute for Peace. Kosovo Final Status: Options and Cross-Border Requirements, Special Report, Washington, July 2002


News zum Thema


EU-Europa: Neues Konzept oder Untergang
Von Prof. Dr. Werner Weidenfeld
10.03.2024 · Tichys Einblick 04/2024

Wirtschaft und Jugend in Bayern
Staatssekretär Tobias Gotthardt, MdL im Gespräch mit dem C·A·P
29.02.2024 · C·A·P

Werden die Grünen zum Feindbild?
Statement von Prof. Dr. Werner Weidenfeld
25.02.2024 · Stuttgarter Zeitung

Von der Krise zum Debakel
Von Werner Weidenfeld
17.02.2024 · Tichys Einblick 03/2024

Feindbild Grüne: Warum diese Wut?
Statements von Prof. Dr. Werner Weidenfeld
15.02.2024 · BR24