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Eine Bilanz der Verfassung

Die EU hat zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Verfassungsdokument

21.06.2004 · Janis A. Emmanouilidis



Europa hat eine Verfassung. Fast ein Jahr nach dem Ende der Beratungen im Europäischen Verfassungskonvent und nach einer gescheiterten Regierungskonferenz im Dezember 2003 haben sich die Staats- und Regierungschefs auf ein konstitutionelles Fundament für die Europäische Union (EU) geeinigt. In vier Teilen und in insgesamt ca. 460 Artikeln wurden die bisherigen Verträge gemeinsam mit der europäischen Grundrechtecharta in einem in sich geschlossenen Text zusammengeführt. Damit verfügt die Europäische Union zum ersten Mal in ihrer Geschichte über eine in einem einzigen Dokument niedergelegte Verfassung. Auch wenn damit das Ende der Geschichte noch nicht geschrieben ist und auch wenn Europa von einer gemeinsamen Verfassungsidentität seiner Bürger noch weit entfernt ist, ist die Verfassung aus historischer Perspektive von herausragender Bedeutung - sie hebt die Europäische Union auf ein höheres Niveau und bindet die Mitgliedstaaten noch enger zusammen.

Abgesehen von der geschichtlichen Signifikanz stellt sich jedoch die Frage, welche konkreten Fortschritte der "Vertrag über eine Verfassung für Europa" bringt. Insgesamt betrachtet bleiben die Ergebnisse der Regierungskonferenz als Resultat eines hinter verschlossenen Türen geführten machtpolitischen Schacherns zwischen den Mitgliedstaaten, in einigen Punkten hinter den Vorschlägen des Europäischen Konvents. Dennoch revidiert das finale Ergebnis die größten Fehlentwicklungen des Vertrags von Nizza und ist viel versprechender als das was über den Weg einer konventionellen Regierungskonferenz ohne Konvent hätte erreicht werden können. Das Konventsmodell hat damit seine Existenzberechtigung unter Beweis gestellt.

Nachdem die Staats- und Regierungschefs sich auf einen gemeinsamen Text geeinigt haben, muss die Verfassung die wohlmöglich höchste Hürde erst noch nehmen. In den kommenden Monaten muss der Text nicht nur in seine finale Form gegossen, übersetzt und unterschrieben werden. Nachdem sich die Mitgliedstaaten auf kein anderes Verfahren verabschiedet haben, setzt das In-Kraft-treten des neuen europäischen Grundlagendokuments die Ratifikation der Verfassung in allen EU-Mitgliedstaaten voraus. Dieser Prozess gewinnt dadurch an Brisanz, dass in einer Reihe von Mitgliedstaaten ein nationales Referendum stattfinden wird, darunter sicher Belgien, Dänemark, Irland und Großbritannien und unter Umständen aber auch Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Spanien. Die Erfahrungen in Dänemark nach Maastricht und die Irlands nach Nizza haben bereits gezeigt, dass ein In-Kraft-treten des neuen Primärrechts in Folge nationaler Ratifikationsprobleme bereits in Vergangenheit zu einer zeitlichen Verschiebung geführt haben. Im Falle der Verfassung ist aber auch ein Scheitern der Ratifikation nicht auszuschließen.

Die geringe Wahlbeteiligung bei den letzten Europawahlen und der Aufschwung europakritischer Kräfte in einigen Mitgliedstaaten sind Beleg dafür, dass es nicht einfach sein wird, die Bürger und Parlamente in allen EU-Ländern von der Europäischen Verfassung zu überzeugen. In den Ländern, in denen eine Ratifikation gefährdet erscheint, werden gewaltige Anstrengungen notwendig sein, um Vorteile der Verfassung zu vermitteln und dadurch einen positiven Ausgang der nationalen Ratifikationsprozesse herbei zu führen. Das wichtigste Argument wird dabei lauten: Mit seiner Verfassung steht Europa besser da als ohne.


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