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Die Mehrheitsfrage als Lackmus-Test

Die Regierungskonferenz muss die Handlungsfähigkeit der EU-25 sichern.

10.12.2003 · Bertelsmann Stiftung und CAP



"Die Staats- und Regierungschefs müssen am Wochenende mit vereinten Kräften den integrationspolitischen Motor wieder zum Laufen bringen. Das große Europa wird ansonsten im Sumpf völliger Handlungsunfähigkeit stecken bleiben". Diese Auffassung vertritt Professor Werner Weidenfeld, Präsidiumsmitglied der Bertelsmann Stiftung und Direktor des Münchner Centrums für angewandte Politikforschung (C·A·P). Aus seiner Sicht hat der Europäische Konvent mit seinem Verfassungsentwurf Mitte des Jahres zwar kein optimales Ergebnis vorgelegt. Auf dem Weg zu einer demokratischen und entscheidungsfähigen Europäischen Union mit 25 und mehr Mitgliedstaaten seien mit dem Entwurf aber so überzeugende Fortschritte gelungen, dass durch die Positionsverhärtungen in den laufenden Regierungsverhandlungen nun nachhaltiger Schaden drohe.

Die unnachgiebige Forderung vor allem Polens und Spaniens, den Konventsvorschlag einer doppelten Mehrheit von Staaten und EU-Bevölkerung fallen zu lassen und an den Entscheidungsregeln des Nizza-Vertrages festzuhalten, gefährdet das gesamte Verfassungsprojekt. Nach Auffassung von Bertelsmann Stiftung und CAP reicht es nicht aus, nur jene Elemente des Konventsentwurfs zu übernehmen, die auf eine Verbesserung der Transparenz und demokratischen Legitimation europäischer Politik abzielen. Vielmehr müsse endlich auch die Machtfrage europäisch - im Sinne einer politisch führbaren und handlungsfähigen EU - beantwortet werden.

Nur falls es den Staats- und Regierungschefs in der letzten "Nacht der langen Messer" nicht doch noch gelingt, sich auf den Konventsvorschlag für Ratsabstimmungen zu einigen, plädieren die Europaexperten für eine Kompromisslösung, um ein völliges Scheitern der Verfassungsberatungen zu verhindern. Im Falle eines Beibehalts des "dreifachen Mehrheitserfordernis" des Nizza-Vertrages und damit des derzeitigen Systems der Stimmgewichtung sollten die Staats- und Regierungschefs zumindest eine Absenkung des Quorums von heute 71% auf maximal zwei Drittel der gewichteten Stimmen beschließen. Werde nicht einmal diese Mindestbedingung erfüllt, so raten die Politikberater auch dringend von einer "Rendez-vous"-Klausel ab, die vorsehen würde, über den Übergang zur doppelten Mehrheit erst 2009 zu entscheiden.

Wie die beiden politischen "Think Tanks" hervorheben, ist das Problem der Mehrheitsregeln keineswegs die einzige offene Flanke, die die Handlungsfähigkeit des großen Europa ernsthaft in Frage stelle. Auch die sich abzeichnende Einigung der Staats- und Regierungschefs auf ein kaum mehr steuerungsfähiges Kommissionskollegium, in der weiterhin alle Mitgliedstaaten vertreten sein sollen, stünden in krassem Widerspruch zu den Anforderungen an eine zukunftsfähige Union. Dies gelte ebenso für das Festhalten an der Einstimmigkeit in zentralen Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Handels-, Sozial-, Steuer- und Einwanderungspolitik. Abträglich dafür seien auch die Bemühungen einzelner Mitgliedstaaten, das neue Amt des EU-Außenministers ausschließlich beim Rat anzusiedeln und damit seine vom Konvent vorgesehene Stellung als Vizepräsident der Kommission auszuhöhlen. Und schließlich böten die Flexibilisierungsinstrumente des Konventsentwurfs, wie die verstärkte oder strukturierte Zusammenarbeit in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, noch zu geringe Handlungsspielräume für kleinere Gruppen von Mitgliedstaaten, um auf dem Wege differenzierter Integration voranzuschreiten.

Für Josef Janning, Leiter des Themenfeldes Internationale Verständigung der Bertelsmann Stiftung und der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik am C·A·P, sind daher die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels zu den künftigen Abstimmungsregeln im Rat "der eigentliche Lackmus-Test für die Bereitschaft der Staats- und Regierungschefs, die Handlungsfähigkeit des großen Europa zum zentralen Leitmotiv der EU-Verfassungsgebung zu machen."


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