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Der Konvent

Öffentliche Wahrnehmung und die Rolle der Zivilgesellschaft

01.07.2003 · Annette Heuser



Ergebnisse:

  • Als Methode zur Einbindung der Zivilgesellschaft wurde ein "Forum" eingerichtet, das als Plattform für den Dialog diente - ergänzt durch die Internet-Seite "Futurum".

  • Ein direkter Austausch zwischen Konvent und Zivilgesellschaft wurde vom 24. bis 25. Juni 2002 ermöglicht. Ein Jugendkonvent tagte vom 9. bis 12. Juli 2002.

Bewertung:

  • Dem EU-Konvent ist es nicht gelungen, seine Arbeit und seine Ergebnisse ausreichend in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Die Medienberichterstattung griff häufig auf nationale Stereotypen über Europa zurück. Die Diskussion über den Mehrwert einer europäischen Verfassung trat dabei in den Hintergrund.

  • Die wichtige Vermittlungsfunktion zwischen Konvent und Öffentlichkeit wurde von der Zivilgesellschaft nur unzureichend ausgefüllt. Es wurde die Chance verpasst, den Entwurf für einen Verfassungsvertrag auf eine "doppelte Legitimität" zu gründen - nämlich die des Konvents und die der europäischen Zivilgesellschaft.

Schlüsseldokumente:

  • Sitzungen der Kontaktgruppen mit den Vertretern der Zivilgesellschaft (CONV 167/02)

  • Schlussdokument des Europäischen Jugendkonvents, vom 12. Juli 2002 (CONV 205/02)

  • Bericht des Vorsitzes des Konvents an den Präsidenten des Europäischen Rates vom 18. Juli 2003 (CONV 851/03)

Die Europapolitik leidet an einem Vermittlungs- und Wahrnehmungsproblem. Dieses Defizit wurde erneut im Rahmen des EU-Konvents deutlich. Was in der "Erklärung zur Zukunft der Union" im Dezember 2000 in Nizza als "breit angelegte Diskussion über die Zukunft der EU" angekündigt und in der "Erklärung von Laeken" ein Jahr später als "umfassende Debatte unter Beteiligung aller Bürger" gefordert wurde, sollte im Konvent als Dialog mit der europäischen Zivilgesellschaft umgesetzt werden. Die Stärkung der öffentlichen Debatte in und über Europa sollte Zielsetzung und Methode zugleich sein.

Noch wenige Monate vor Abschluss der Konventsarbeiten sind der Auftrag und die Arbeit des Konvents jedoch für etwa Zweidrittel der EU-Bürger ein weitgehend unbeschriebenes Blatt geblieben, wie Eurobarometer-Umfragen zeigen. Nur 26% der Befragten setzten Vertrauen in seine Arbeit. Eine denkbar ungünstige Situation für ein Forum, das geschaffen wurde, um die bis dahin als wenig transparent und demokratisch eingestufte Methode der Regierungskonferenzen abzulösen und die Bürger in den Prozess der Neugestaltung Europas einzubeziehen.

Medien, öffentliche Wahrnehmung und Europa

Die Wahrnehmung der Europapolitik wird ebenso wie im nationalen Kontext maßgeblich durch die Medien geprägt. Insofern kam der Berichterstattung über den Konvent eine entscheidende Bedeutung bei der Mobilisierung des öffentlichen Interesses in den Nationalstaaten zu. Es zeigte sich schnell, dass sich die Konventsdebatten bis auf die Endphase im Mai und Juni 2003 kaum für eine umfassende Berichterstattung eigneten. So verstanden die großen europäischen Tageszeitungen ihren Informationsauftrag an die Leser mehr als Pflicht denn als Kür. Manch blasser Artikel, der der Beschreibung der Arbeitsmethode des Konvents mehr Raum einräumte als der kritischen Auseinandersetzung über verschiedene Reformansätze zu einzelnen Politikfeldern, war zu finden.

Vor noch größere Schwierigkeiten war die Fernsehberichterstattung gestellt. Die Diskussionen im Plenum waren für die allabendliche Berichterstattung ungeeignet. Der Konvent bot häufig nur Bildmaterial für eingeweihte Europa-Beobachter und nicht für die breite Öffentlichkeit. Dies änderte sich erst, als in der entscheidenden Phase ab Januar 2003 die bis dato tabuisierten Machtfragen der EU-Institutionen und ihrer Entscheidungsverfahren gestellt und damit eine politische Zuspitzung der Debatten erreicht wurde. Zusätzlich gesteigert wurde das öffentliche Interesse dadurch, dass einzelne Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland und Frankreich, ihre Außenminister in das Gremium entsandten. So erhielten die Diskussionen den Charakter einer Art "Vor-Regierungskonferenz".

Deutlich zu sehen war in der Schlussphase des Konvents auch eine Professionalisierung im Austausch mit den Medien und damit auch der Öffentlichkeit - maßgeblich angestoßen durch hochrangige Regierungsvertreter, die die Medienbedürfnisse in punkto druckreifer Zitate und sendefähiger Bilder zu nutzen und zu befriedigen wussten. Dennoch stellte die Schwierigkeit der Medien, die Informations- und Diskussionsflut des Mammut-Gremiums - 26 Plenartagungen mit über 1.800 Wortmeldungen sowie 386 schriftliche Beiträge der Konventsmitglieder für das Plenum und 773 Beiträge für die Gruppen und Arbeitskreise (laut Bericht des Vorsitzes des Konvents an den Präsidenten des Europäischen Rates vom 18. Juli 2003, CONV 851/03) - in verständlicher Form für ein breites Publikum zu zerlegen, kein konventsspezifisches Problem dar. Vielmehr spiegelten sich in der Berichterstattung die Defizite, die die Europapolitik seit vielen Jahren prägen. So lassen sich im nationalen Kontext schwierige Sachverhalte scheinbar einfacher vermitteln. In der Europapolitik hingegen wird die Komplexität der Entscheidungsstrukturen und Politikfelder häufig als Hemmschuh auf dem Weg zu einer ausgewogenen und kontinuierlichen Berichterstattung gesehen. Verkürzt gesagt: die europäische Ebene dient entweder als Sündenbock zur Erklärung von Missständen, oder sie kommt in den Medien kaum vor.

Als ebenso hinderlich hat sich in den letzten Jahren die mangelnde Visualisierung Europas durch politische Leitfiguren ausgewirkt. Glaubwürdige Identifikationsträger auf der europäischen Ebene fehlen fast gänzlich. So wurde auch der Präsident des Konvents, Valéry Giscard d'Estaing, in den Medien nicht vorrangig als Galionsfigur für das Integrationsprojekt Europa wahrgenommen, sondern in erster Linie als ehemaliger französischer Staatschef. Unabhängig von dessen europäischen Verdiensten stand in der Berichterstattung oftmals die Frage im Mittelpunkt, welche französischen Interessen dieser als Prototyp eines intellektuell verkapselten Aristokraten beschriebene Präsident im Konvent durchsetzen wolle. Die Bedienung nationaler Stereotypen und Klischees obsiegte somit über eine ausgewogene Berichterstattung.

Doch einseitige Medienkritik ist nur eine Seite des Problems. Auch der Konvent hat den Auftrag zur öffentlichen Debatte nur unzureichend umgesetzt. Stundenlange Debatten im Drei-Minuten-Takt zu schwierigen Fragen der Reform einzelner Politikbereiche, kaum über ihren nationalen Kontext hinaus bekannte Konventsmitglieder sowie komplizierte Ergebnisse aus den einzelnen Arbeitsgruppen sind wenig geeignet zur multimedialen Vermittlung. So wichtig die Erarbeitung umfangreicher Dokumente für die Entscheidungsfindung im Konvent selbst war, so hinderlich war sie bei der Vermittlung in der Öffentlichkeit. Pressekonferenzen über den Stand der Beratungen boten in der Folge eher den professionellen Konventsbeobachtern einen Mehrwert, während die Mehrheit der Medienvertreter diese Detailinformationen über Kompromisslinien, Zeitpläne und Arbeitsgruppenformate kaum verwenden konnte.

Zivilgesellschaft zwischen Bürgerbeteiligung und professionellem Lobbying

Als Methode für die Einbindung der Zivilgesellschaft nennt die Erklärung von Laeken die Einrichtung eines "Forums". Den Bürgern sowie der organisierten Zivilgesellschaft (Sozialpartner, Hochschulen, nichtstaatliche Organisationen etc.) sollte damit eine Plattform für den Dialog mit dem Konvent geboten werden. Die Zivilgesellschaft wurde im Plenum des Konvents am 24. und 25. Juni 2002 gehört. Zur Vorbereitung wurden sieben Kontaktgruppen eingesetzt:

  • Sozialer Sektor;

  • Umwelt;

  • Akademische Kreise und Think Tanks;

  • Bürger und Institutionen;

  • Gebietskörperschaften

  • Menschenrechte;

  • Entwicklung und Kultur.

Ihre im Plenum des Konvents vorgetragenen Appelle überraschten kaum, handelte es sich doch zum großen Teil um professionelle Interessenvertreter. Diese forderten die Berücksichtigung ihrer Partikularinteressen, wie z.B. im umweltpolitischen Bereich, sowie eine Stärkung der Einbeziehung ihrer Vertreter in den Konventsprozess, etwa in Form von zusätzlichen Arbeitsgruppen (Sitzungen der Kontaktgruppen mit Vertretern der Zivilgesellschaft, CONV 120/02; Plenartagung vom 24./25. Juni 2002, CONV 167/02). Darüber hinaus veranstaltete der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) in Kooperation mit dem Konvent insgesamt acht Diskussionsrunden mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Neben der Vertiefung einzelner Reformfragen strebte der WSA auch an, sich als Repräsentant der organisierten Zivilgesellschaft in Europa zu etablieren. Dem WSA gelang es allerdings nur begrenzt, größere Kreise der Zivilgesellschaft oder gar die breite Öffentlichkeit mit diesen Initiativen zu erreichen.

Neben dem Forum für die Zivilgesellschaft wurde von 9. bis 12. Juli 2002 ein Europäischer Jugendkonvent einberufen. Insgesamt fanden sich 210 Jugendliche aus 28 Ländern zusammen, um gemeinsam mit Vertretern des Konvents ihre Vorstellungen von einer Union der 25 und mehr Mitgliedstaaten zu diskutieren. Verabschiedet wurde eine Deklaration, die die Erwartungen der jungen Generation auf den Punkt bringt (Schlussdokument des Europäischen Jugendkonvents vom 12. Juli 2002, CONV 205/02). Angekündigt wurde von Seiten des Konventspräsidiums ein kontinuierlicher Dialog mit den Mitgliedern des Jugendkonvents. Einige Monate vergingen und es mehrten sich die unzufriedenen Stimmen der Jugendvertreter, die nach ernsthafter Einbindung und Mitsprache im Konventsprozess verlangten (Martin Banks: Young being frozen out of Convention debate, claim youth leaders, in: European Voice, 31.10.-06.11.2002, S. 10). Dennoch sollte es bei einem einmaligen Austausch bleiben.

Sowohl das Forum der Zivilgesellschaft als auch der Jugendkonvent waren wichtige Maßnahmen, um mit dem Vorhaben von Laeken ernst zu machen, die Bürger an der Debatte um Europas Zukunft zu beteiligen. Allerdings haben es der Konvent insgesamt und das für den Dialog mit der Zivilgesellschaft zuständige Präsidiumsmitglied Jean-Luc Dehaene nicht verstanden, einen kontinuierlichen und strukturierten Dialog mit der Zivilgesellschaft und der jungen Generation zu gewährleisten. Einmalige Veranstaltungen oder auch die im Internet eingerichteten Seiten Futurum und Forum, die den Austausch mit Vertretern der Zivilgesellschaft über das Internet ermöglichen sollten, reichten nicht aus.

Ebenfalls weit hinter den Erwartungen zurück blieben die Debatten in den Mitgliedstaaten. So beschränkten sich diese häufig auf die Einrichtung von Internetforen der Außenministerien und der Durchführung einiger weniger nationaler Informationsveranstaltungen zum Thema. Die Rückkoppelung auf die europäische Ebene beschränkte sich auf die Ankündigung nationaler Aktionen auf der Futurum-Homepage.

Im Herbst 2002 zeichnete sich deutlich ab, dass es nicht gelingen würde, einen strukturierten Dialog zu führen. Die Chance zur Verstärkung des Austauschs mit der Zivilgesellschaft wurde nicht genutzt. Angesichts des engen Zeitplans des Konvents hätte der Dialog mit der Zivilgesellschaft ein wichtiges Element in den Konventsberatungen sein können. Den Vertretern der Zivilgesellschaft hätte bei der Ausarbeitung einer Verfassung für die EU eine wertvolle Vermittler- und Korrekturfunktion zukommen können. Dass Sprache, die zum Fach-Code mutiert, ein ausgrenzendes Element sein kann, verdeutlichen die europapolitischen Debatten seit vielen Jahren. Die Stärke von Sprache liegt in ihrer identitätsstiftenden und somit verbindenden Wirkung. Die Vertreter der Zivilgesellschaft hätten in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag leisten können, wenn es darum geht, für den Bürger verständliche Begrifflichkeiten einzuführen.

Insgesamt wäre eine effektive und sachgerechte Einbeziehung der Zivilgesellschaft durch eine stärker an den tatsächlichen Arbeits- und Themenstrukturen des Konvents ausgerichtete Planung zu erzielen gewesen. Dies hätte eine Ablösung der eingesetzten Kontaktgruppen durch neue Kooperationsstrukturen, die sich entlang der inhaltlichen Mandate der Arbeitsgruppen orientieren, vorausgesetzt. Gemeinsame Sitzungen und Anhörungen zwischen den Kontaktgruppen der Zivilgesellschaft und den Arbeitsgruppen des Konvents wären eine ebenso wichtige Voraussetzung für effektive Vernetzung und Austausch gewesen.

Verpasste Chancen

In punkto Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Schaffung einer positiven öffentlichen Wahrnehmung fällt die Bilanz für den Konvent nach nahezu eineinhalb Jahren Arbeit alles andere als positiv aus. Der in Laeken erteilte Auftrag zur Einbindung der Zivilgesellschaft hat den Konvent eindeutig überfordert. Hinzu kam, dass der enge Zeitplan kaum Raum für Diskussionen abseits der strengen Plenartagesordnungen ließ. Einzig dem Konvent die Verantwortung für das Scheitern des in Laeken erteilten Mandats zur Bürgerbeteiligung zuzuschreiben, wäre allerdings verfehlt.

Auch die Vertreter der Zivilgesellschaft selbst haben ihre Rolle als Vermittler zwischen Konvent und der breiten Öffentlichkeit nicht optimal nutzen können. So standen für die Mehrzahl der Vertreter die Partikularinteressen ihrer jeweiligen Organisation im Vordergrund. Der Blick auf das angestrebte Ziel - einen Entwurf für eine europäische Verfassung auszuarbeiten - geriet zunehmend in den Hintergrund. Professionelles Lobbying überdeckte die Arbeiten an einem gemeinsamen Projekt. Die wichtige Scharnierfunktion zwischen Öffentlichkeit und Konvent wurde von der Zivilgesellschaft nur unzureichend erfüllt.

So wurde die öffentliche Wahrnehmung maßgeblich durch die Berichterstattung in den Medien geprägt. Der hier oftmals angewandte Rückgriff auf bekannte Stereotypen von Europa als unzähmbarer Riesenmaschinerie, die versucht, sich möglichst viele nationale Kompetenzen anzueignen, wurde gepflegt. Das Ergebnis einer solchen Schieflage in der Berichterstattung zeigt sich nach Abschluss der Konventsarbeiten deutlich: Innerhalb der Mitgliedstaaten mehren sich die Stimmen aus einzelnen parteipolitischen Lagern, die das Ergebnis für unzureichend halten. Die Verfechter dieser Position können dabei auf das latente Unbehagen in der Bevölkerung setzen. Ein Unbehagen, das sich darauf gründet, dass nach mehr als einem Jahr Konventsarbeit, die von der Mehrheit der Bevölkerung als "Prozess hinter verschlossenen Türen" wahrgenommen wurde, das Ergebnis nun erst einmal kritisch und mit Zurückhaltung beurteilt wird.

Das abschließende Dokument des Konvents muss nun in der Runde der europäischen Staats- und Regierungschefs bestehen. Die Chance, das Ergebnis auf einer "doppelten Legitimität und Autorität" - nämlich der des Konvents und der europäischen Zivilgesellschaft - zu begründen, wurde verpasst. Der Konvent ist nicht das erste Gremium und wird vermutlich auch nicht das letzte sein, das die Möglichkeit der Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nicht ausschöpft. Verlierer ist der europäische Gedanke, der trotz der vielen Foren und Diskussionen keine wirkungsvolle Lobby gegenüber den nationalen Interessen und Stereotypen gefunden zu haben scheint.


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