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Auf dem Weg zu einer europäischen Innenpolitik

Fortschritte durch den Konventsentwurf

01.07.2003 · Franziska Hagedorn



Ergebnisse:

  • Die Konventsvorschläge bringen deutliche Fortschritte durch einen gemeinsamen Rechtsrahmen für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, einheitliche Rechtsinstrumente sowie die Anwendung des allgemeinen Gesetzgebungsverfahrens.

  • In einigen Bereichen, die den Kern der nationalen Souveränität berühren, verbleibt die entscheidende Kompetenz bei den Mitgliedstaaten (z.B. Strafrecht, operative Zusammenarbeit der Strafermittlungsbehörden und Arbeitsmigration).

Bewertung:

  • Der Konvent ist damit den Reformerfordernissen in diesem Politikbereich weit gehend gerecht geworden. Das gefundene Kompromisspaket sollte deshalb in der Regierungskonferenz nicht wieder aufgeschnürt werden.

  • Die zunehmende Verschränkung innen- und außenpolitischer Sicherheitsfragen reflektiert der Konventsentwurf jedoch nicht in ausreichendem Maße.

Schlüsseldokumente:

  • Schlussbericht der Arbeitsgruppe vom 2. Dezember 2002 (CONV 426/02).

  • Das Präsidium fasste die zentralen Fragen und Herausforderungen in diesem Politikbereich in zwei Papieren zusammen (CONV 206/02 und CONV 69/02).

Reformbedarf

Die Innen- und Justizpolitik hat eine relativ kurze Geschichte in der europäischen Einigung. Dennoch hat sie sich zu einem zentralen Integrationsprojekt entwickelt, dem auch im Konvent zur Reform der Europäischen Union (EU) viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Nach anfänglicher Kooperation außerhalb der Verträge im Rahmen der Schengener Abkommen wurde mit dem Maastrichter Vertrag eine intergouvernementale Säule für den Politikbereich Justiz und Inneres geschaffen. Der Vertrag von Amsterdam machte die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) zu einer der Prioritäten der Europäischen Union und sah wichtige Änderungen vor: Der Schengen-Rechtsbestand wurde an mehreren Stellen in die Verträge integriert, und diejenigen Bereiche, die direkt mit der Freizügigkeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten verbunden sind (Außengrenzkontrolle, Asyl und Immigration), sollten innerhalb von fünf Jahren vergemeinschaftet werden. Nach diesen Veränderungen verlangsamte sich die Dynamik des Politikfeldes, obwohl Umfragen wiederholt feststellten, dass die Bürger effizientes Handeln im Bereich Inneres und Justiz von der EU erwarten.

Der Vertrag von Nizza sah kaum bedeutsame Änderungen vor. Dabei gibt es eine Reihe von Defiziten: Ein Hauptproblem war die fehlende Kohärenz in dem Politikfeld, das nicht nur auf mehrere Säulen verteilt war, sondern auch eine Vielzahl von Verfahren und Instrumenten vorsah. Das Ergebnis waren Ineffizienz der Entscheidungen, fehlende Transparenz, teilweise ungenügende demokratische Kontrolle - und damit letztlich auch mangelnde Legitimität. Der RFSR bedurfte einer klareren Zielbestimmung und einer engeren Anbindung an die Grundziele der Union. Mehrheitsentscheidungen sollten so weit als möglich ausgedehnt werden, um Effizienz und Legitimität zu stärken. Eine weitere Vergemeinschaftung ist allerdings zugleich von erweiterten Kontrollmöglichkeiten für das Europäische Parlament (EP) und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) abhängig.

Interessen und Koalitionen

Die Diskussion um Reformen in der Innen- und Justizpolitik war stark verwoben mit der Frage allgemeiner Reformerfordernisse. Konflikte und Koalitionen der Akteure zu Reformen im diesem Bereich konzentrierten sich zumeist auf das institutionelle Dreieck von Kommission, Rat und Parlament, sowie die Frage der Abstimmungsverfahren im Rat.

Kommission und EP erwiesen sich als natürliche Verbündete zur Stärkung der Gemeinschaftsmethode. Beide forderten daher eine Vergemeinschaftung des gesamten Bereichs Inneres und Justiz (siehe EP 2001/2180 (INI); KOM (2002) 728 final/2). Polizeiliche und justizielle Kooperation in Strafsachen sollten den gleichen Regeln unterliegen wie andere Bereiche, indem das Parlament an allen Entscheidungen mitbeteiligt wird, die Kommission das Initiativrecht alleine ausübt und der Rat mit qualifizierter Mehrheit abstimmt.

Die Mitgliedstaaten vertraten zum Teil stark unterschiedliche Positionen. So blieb die britische Regierung relativ restriktiv in ihren Vorschlägen. Anders als im Bereich Außenpolitik signalisierten führende britische Politiker jedoch, dass sie "mehr Integration" in der europäischen Innenpolitik durchaus befürworten würden. Insbesondere Mehrheitsentscheidungen im Bereich Asyl und effektivere Entscheidungsfindung bei der Polizeikooperation seien wichtig (siehe Blair 2002: Britain and Europe; Straw 2002: Constitution for Europe). In einem gemeinsamen Papier mit Spanien wurde vorgeschlagen, das Initiativrecht der Kommission im Bereich Inneres und Justiz zu erweitern sowie das Mitentscheidungsverfahren und die Mehrheitsentscheidungen im Rat auf ausgewählte Bereiche auszudehnen (CONV 591/03).

Der französische Außenminister äußerte sich zum Thema Inneres und Justiz zusammen mit seinem deutschen Kollegen in einem weit reichenden Reformvorschlag (CONV 435/02). Dazu gehören die Überwindung der Säulenstruktur, die Anwendung der qualifizierten Mehrheit bei allen Maßnahmen außer denjenigen, bei denen es zur Anwendung von Gewalt kommt, allgemeine Zuständigkeit des EuGH außer bei Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Erweiterung der operativen Kompetenzen von Europol sowie die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft, die auch die nationalen Gerichte befassen kann.

Die deutsche Regierung konnte allerdings eine derart weit gehende Befürwortung der Vergemeinschaftung der Einwanderungspolitik aufgrund von innenpolitischen Bedenken nicht aufrecht erhalten: Die deutsche Debatte um ein Einwanderungsgesetz sowie die anhaltende Kritik der konservativen Opposition im Bundestag und Mehrheit im Bundesrat am Konventsentwurf zwangen zu einer restriktiveren Position. So setzten sich der deutsche Außenminister Joschka Fischer, der Vertreter des Bundestags Jürgen Meyer und der Vertreter der Länder Erwin Teufel in einem Brief in den letzten Tagen der Konventsarbeit noch für eine Änderung des Entwurfs und den Erhalt des Vetorechts im Bereich Einwanderung ein. Die deutschen Vertreter erreichten letztlich eine Regelung, die weiterhin den nationalen Regierungen die Regelung des Zugangs von Nicht-EU-Bürgern zum Arbeitsmarkt überlässt.

Vorgehen des Konvents

Anfang September 2002 beschloss der Konvent, für das Politikfeld "Freiheit, Sicherheit und Recht" eine eigene Arbeitsgruppe einzusetzen. Man war sich einig, dass die Bürger in diesen Bereichen ein größeres Engagement der europäischen Ebene befürworteten, die Mitgliedstaaten allein nicht über ausreichende Mittel zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität verfügten und der institutionelle Rahmen der Neuordnung bedürfe. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe wurde John Bruton bestimmt, der gleichzeitig auch Mitglied des Konventspräsidiums war (CONV 258/02). Das Präsidium fasste die zentralen Fragen und Herausforderungen in diesem Politikbereich in zwei Papieren zusammen (CONV 206/02 und CONV 69/02). Dazu gehörten die Vereinfachung der Verträge, der Rechtsakte und Verfahren und die klare Abgrenzung zwischen Vorgehen auf unions- und mitgliedstaatlicher Ebene. Die Sitzungen der Arbeitsgruppe fanden im Oktober und November statt, der Schlussbericht wurde am 2. Dezember 2002 vorgelegt (CONV 426/02).

Im Verlauf ihrer Arbeit hörte die Gruppe zahlreiche Sachverständige, darunter Wissenschaftler, nationale Polizei- und Grenzschutzbeamte, Verantwortliche von Europol und Eurojust, Beamte der Kommission und des Rates. Die Namen der gehörten Experten finden sich in der Anlage des Schlussberichtes (CONV 426/02). Sie berücksichtigte auch zahlreiche Beiträge, wie zum Beispiel von Kommissarin Michaele Schreyer (WD 027), Kommissar Antonio Vitorino (WD 014), der spanischen Außenministerin Ana Palacio (WD 019), dem europäischen Abgeordneten Elmar Brok (WD 033) oder den deutsch-französischen Vorschlag zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (WD 033). Der Abschlussbericht bildet den Kompromiss der Arbeitsgruppe ab und formuliert zwei "goldene Regeln":

  • Schaffung eines gemeinsamen allgemeinen Rechtsrahmens, der den Besonderheiten dieses Bereichs Rechung trägt sowie

  • möglichst konsequente Unterscheidung zwischen 'legislativen' und 'operativen' Aufgaben.

Die Arbeitsgruppe hat sich klar für eine Ausweitung der Gemeinschaftsmethode ausgesprochen. Dies zeigt sich in der Befürwortung des Mitentscheidungsverfahrens, der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und der Betonung des Solidaritätsprinzips zwischen den Mitgliedstaaten in diesem Politikbereich. Dennoch verbleiben einige intergouvernementale Elemente, insbesondere im Bereich der polizeilichen und justiziellen Kooperation.
Da in einigen Punkten keine einstimmige Empfehlung erzielt werden konnte, weist die Arbeitsgruppe in ihrem Schlussbericht auf Mindermeinungen hin. Strittig war beispielsweise die Frage, ob das Mehrheitsverfahren auch für das gesamte Familienrecht gelten solle. Entgegen der Mehrheitsmeinung empfahlen einige Mitglieder Einstimmigkeit für einen Ausbau von Eurojust. Des weiteren war die Frage des Initiativrechts für die Mitgliedstaaten umstritten. Hier forderte die Gruppe den Konvent zu einer sorgfältigen Prüfung auf. Uneinigkeit bestand auch in der Frage des Klagerechts für Eurojust bzw. eine europäische Staatsanwaltschaft vor einzelstaatlichen Gerichten. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe wurden im Plenum des Konvents diskutiert. Auf Basis der Aussprache präsentierte das Präsidium Mitte März 2003 einen ersten Entwurf der Artikel für den Bereich Inneres und Justiz. Weitere Plenumsdiskussionen und Änderungsvorschläge wurden in den folgenden Gesamtentwürfen berücksichtigt.

Der Konventsvorschlag zum Thema Inneres und Justiz

Der EU-Verfassungsentwurf (EVE) des Konvents sieht vier Teile vor. Inneres und Justiz wird im ersten Teil als geteilte Kompetenz definiert und mit einem Artikel über besondere Vorschriften zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts behandelt (Art. I-41 EVE). Dieser beschreibt die Art der Kooperation im RFSR (Europäische Rahmengesetze und Gesetze, Vertrauen und gegenseitige Anerkennung, operationelle Kooperation), die besonderen Rechte der nationalen Parlamente und das Initiativrecht der Mitgliedstaaten. Im dritten Teil werden die genauen Ausführungsbestimmungen dargelegt (Art. III-158 bis III-178 EVE).

Dies bedeutet, dass die Kritik am ersten Entwurf über die Struktur des Verfassungsvorschlages nur bedingt berücksichtigt wurde. So hatten Experten vorgeschlagen, ähnlich dem Artikel über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bereits im ersten Teil eine Zielbestimmung für Inneres und Justiz im Abschnitt über die Kompetenzen der EU (Teil I, Titel III EVE) vorzusehen. Dies geschieht nun erst im dritten Teil in Art. III-158 EVE. Gleichzeitig war gefordert worden, die Sonderregelungen zu den Rechten der nationalen Parlamente und zum Initiativrecht der Mitgliedstaaten entweder herauszunehmen oder nur in den Ausführungsbestimmungen aufzuführen. Die Regelungen im dritten Teil übernehmen wesentliche Elemente des Vorschlags der Arbeitsgruppe und sehen folgende zentrale Elemente vor:

  • Einrichtung eines gemeinsamen rechtlichen Rahmens für den Bereich "Freiheit, Sicherheit und Recht" und Abschaffung der Säulenstruktur;

  • einheitliche Rechtsinstrumente für diesen Bereich (nach Teil I, Titel V, Kapitel I EVE);

  • Mitentscheidungsverfahren wird die Regel;

  • Mehrheitsentscheidung wird die Regel;

  • generelles Initiativrecht für die Kommission; dieses muss allerdings im Bereich der polizeilichen und justiziellen Kooperation in Strafsachen mit einem Viertel der Mitgliedstaaten geteilt werden (Art. III-165 EVE);

  • gegenseitige Anerkennung als grundlegendes Prinzip bei der Kooperation in zivilen und strafrechtlichen Bereichen (Art. I-41 und Art. III-158 EVE);

  • verstärkte politische Kontrolle durch nationale Parlamente (Art. III-160 EVE);

  • "Peer review"-Mechanismus - Methode der gegenseitigen Bewertung (Art. III-161 EVE);

  • Schaffung einer ständigen Arbeitsgruppe im Rat, um die Koordinierung der operationellen Kooperation zu fördern (Art. III-162 EVE);

  • Ausweitung der Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs - wird in das den Gerichtshof betreffende Kapitel eingefügt.

Übersicht über Mehrheitsentscheidungen und Einstimmigkeit im Konventsvorschlag:

Mehrheitsentscheidung

Einstimmigkeit

Grenzkontrollen, Asyl und Immigration (Art. III-166, III-167 und III-168 EVE) - jeder Mitgliedstaat kann jedoch selbst die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Arbeitsaufnahme bestimmen.

 

justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen (Art. III-170 EVE)

Rechtsakte zum Familienrecht mit grenzüberschreitenden Implikationen - einzelne Aspekte können vom Rat in die Mehrheitsentscheidung überführt werden (Art. III-170.3 EVE)

bestimmte Aspekte der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen - z.B. Gesetze, um die Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen sicherzustellen (Art. III-171.1 EVE)

 

Annäherung bestimmter Aspekte des Strafverfahrensrechts - nur Rahmengesetze (Art. III-171.2 EVE )

Annäherung aller Elemente, die nicht in Art. III-171.2 EVE aufgeführt sind

Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen bei Verbrechen mit grenzüberschreitender Dimension und auf Gebieten, auf denen bereits Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind (Art. III-172 EVE)

Ratsbeschluss zur Definition weiterer Kriminalitätsformen, die die Kriterien des Art. III-172.1 EVE erfüllen

Förderung der Verbrechensprävention (Art. III-173 EVE)

 

Entscheidungen hinsichtlich Aufbau, Arbeitsweise und Aufgaben von Eurojust und Europol (Art. III-174 und III-177 EVE)

Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft (Art. III-175 EVE)

Maßnahmen zur Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf Informationsaustausch und -analyse, Aus- und Weiterbildung, gemeinsame Ermittlungstechniken bei schwerer Kriminalität (Art. III-176.1,2 EVE)

Maßnahmen zur operativen Zusammenarbeit der Strafermittlungsbehörden (Art. III-176.3 EVE)

 

Festlegung der Bedingungen, unter denen Behörden im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten tätig werden dürfen (Art. III-178 EVE)

Ein großer Reformschritt?

Der Vorschlag des Konvents stellt notwendigerweise einen Kompromiss zwischen Reformern und Besitzstandwahrung dar. Er bringt jedoch einen klaren Fortschritt für den Bereich "Inneres und Justiz". Die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsrahmens für alle Maßnahmen in diesem Bereich, die Anwendung des neuen, allgemeinen Gesetzgebungsverfahrens als Regelverfahren, die Verwendung von einheitlichen Instrumenten sowie die Ausweitung der Kontrollfunktion des EuGH dienen dazu, die Effizienz zu steigern, die Verfahren durchschaubarer zu gestalten und damit auch die Akzeptanz zu steigern.

Die Reformen sind grundsätzlich dazu geeignet, dem Politikbereich seinen Sondercharakter zu nehmen und ihn den allgemeinen Zielen der Union unterzuordnen. Die oben erwähnte Schwäche in der systematischen Gliederung hat jedoch negative Folgen: Die fehlende Zielbestimmung des RFSR aus den geltenden Verträgen wird fortgeführt. Dadurch kann der Bereich nicht explizit den übergeordneten Zielen der Union zugeordnet werden. Dies wäre jedoch erstrebenswert, da insbesondere die Innenpolitik einen Kernbereich staatlichen Handelns und damit seiner Legitimität ausmacht. Die fehlende Zielbestimmung im ersten Teil lässt in der Folge einen Verweis auf die wichtige Verbindung mit der Außen- und Sicherheitspolitik vermissen. Problematisch ist insbesondere, dass die Anwendung der Solidaritätsklausel dem Titel zum außenpolitischen Handeln der Union in Teil III zugeordnet wird. Eine engere Verbindung mit der Innen- und Justizpolitik wäre notwendig, damit die EU ihren Verpflichtungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus gerecht werden kann. Die Erwähnung des externen Aspekts bei der Asylpolitik ist grundsätzlich begrüßenswert. Jedoch ist dies ebenfalls unsystematisch, da die außenpolitische Dimension bei allen Teilen des Politikbereichs zu berücksichtigen ist.

Der Konventsvorschlag schreibt den speziellen Charakter der ehemaligen dritten Säule teilweise fort. Dies ist einerseits zu begrüßen, da hiermit den Bedenken der Mehrzahl der Mitgliedstaaten Rechnung getragen wird, die in sensiblen Kernbereichen, die stark durch nationale Traditionen geprägt sind, die Einstimmigkeit beibehalten wollten. Andererseits führt die gesonderte Erwähnung der Leitlinienfunktion des Rates und der speziellen Rolle der nationalen Parlamente in diesem Bereich zu einer unnötigen Duplizierung. Dies erschwert die Lesbarkeit und Transparenz des Vertrags. Teilweise sind diese Bestimmungen überflüssig, in anderen Fällen sollten sie in den jeweils zutreffenden Abschnitt der Verfassung verschoben werden - wie dies bei den Bestimmungen zum EuGH geschehen ist.

Zu bemängeln ist die noch immer eingeschränkte Rolle des Europäischen Parlaments in den verbleibenden Bereichen der Einstimmigkeit. Gerade die hohen Ansprüche der Bürger an mehr europäische Effizienz in diesem Bereich bedingen erhöhte Mitsprache und Kontrolle durch das EP. Offen bleibt teilweise, wie die Kontrolle der operativen Kooperation erfolgen wird. Der Rolle der Kommission als Motor der Integration trägt das verbleibende Initiativrecht für ein Viertel der Mitgliedstaaten zwar nicht Rechnung, doch stellt diese Regelung nach den Debatten im Konvent einen Kompromiss dar, der die Forderungen der Mitgliedstaaten adäquat aufnimmt.

Der aufgrund der deutschen Bedenken gefundene Kompromiss zur Mehrheitsentscheidung in der Einwanderungspolitik schränkt den Fortschritt in diesem Bereich entscheidend ein. Denn es ist fraglich, wie eine gemeinsame Migrationspolitik ohne harmonisierten Zugang zum Arbeitsmarkt betrieben werden kann.

Theorie und Praxis

Der Entwurf hat die Innen- und Justizpolitik für Effizienz und Weiterentwicklung geöffnet. Die EU hat damit das Potenzial geschaffen, den hohen Erwartungen der Bürger an europäisches Handeln in diesem Bereich gerecht zu werden.

Ein wichtiges Ziel im Verfassungsentwurf ist die Schaffung von Vertrauen zwischen den relevanten Behörden in den Mitgliedstaaten (Art. I-41 EVE). Die Schengener Praxis ist hier ein gutes Beispiel für wachsendes gegenseitiges Vertrauen. Nun muss sich dieses Prinzip in der Praxis für den gesamten Bereich der Innen- und Justizpolitik weiterentwickeln.

Offen ist noch, wie die schwierige Balance zwischen Effizienz der Entscheidungen und Sicherung der bürgerlichen Freiheiten in die Praxis umgesetzt wird. Insbesondere die Notwendigkeit informeller Zusammenarbeit und die "Kultur der Geheimhaltung" in diesem Politikbereich können die Kontrolle erschweren. Die vorgesehenen erweiterten Kontrollmöglichkeiten durch das Europäische Parlament und den Europäischen Gerichtshof sind eine wichtige Voraussetzung.

Eine entscheidende Frage ist auch, ob die Anforderungen der Innen- und Justizpolitik und diejenigen der Außen- und Sicherheitspolitik in Einklang gebracht werden können. Nicht zuletzt hat der Gipfel in Thessaloniki am 19./20. Juni 2003 mit den Diskussionen um Auffanglager für Asylbewerber in Anrainerstaaten der EU gezeigt, wie notwendig eine Integration von innen- und außenpolitischen Fragen ist. Eine wichtige Rolle wird hierbei spielen, wie der erste Außenminister der EU seine Aufgabe ausfüllen wird.

Insgesamt bietet der Vertragsentwurf des Konvents gute Chancen, nationale Verantwortung und Traditionen, gemeinsame Aufgabenerfüllung, Wahrung der Freiheiten und Rechte der Bürger und Effizienz und Transparenz in ein Gleichgewicht zu bringen. Ausschlaggebend wird sein, wie diese Vorschriften nach der Annahme durch die Staats- und Regierungschefs mit Leben gefüllt werden.


Literatur

Tony Blair, Speech by the Prime Minister the Right Honourable Tony Blair MP, "The Future of Europe: Strong, effective, democratic", Old Library, Cardiff, 28. November 2002

Europäisches Parlament, Resolution über den Verfassungsprozess und die Zukunft der Union (2001/2180 (INI))

Europäische Kommission, "For the European Union: Peace, Freedom, Security", 11. Dezember 2002, KOM (2002) 728 final/2

Franziska Hagedorn, Konvent-Spotlight 09/2002, Reformen für Justiz und Inneres

Jack Straw, "A Constitution for Europe", The Economist, 11. Oktober 2002


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