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Die Zeit läuft

EU-Gipfel in Brüssel - eine Zwischenbilanz der Regierungskonferenz zum Verfassungsentwurf.

20.10.2003 · Almut Metz



Am vergangenen Freitag ist das zweite Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zum Verfassungsentwurf des Konvents zu Ende gegangen. Nach der Eröffnung der Regierungskonferenz im monumentalen "Palazzo dei Congressi"in Rom am 4. Oktober 2003 hat der Europäische Rat seine Beratungen am 16./17. Oktober in Brüssel fortgesetzt. Bis Mitte Dezember 2003 will die italienische Präsidentschaft die strittigen institutionellen und prozeduralen Fragen abschließen. Dies betrifft die Zusammensetzung der Kommission, den Vorsitz im (Europäischen) Rat und die Verortung und die Kompetenzen des neuen EU-Außenministers sowie die Einführung der "doppelten Mehrheit" bei Mehrheitsentscheidungen im Rat und die Bestimmungen zur Flexibilisierung der Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zusätzlich zu den bisher je zwei Sitzungen des Europäischen Rates und des Rates Allgemeine Angelegenheiten sind bis zur Tagung der Staats- und Regierungschefs am 12./13. Dezember 2003 in Brüssel vier weitere Ministertagungen vorgesehen. Die italienische Präsidentschaft hält darüber hinaus einen zusätzlichen informellen Gipfel des Europäischen Rates Mitte November für notwendig. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten will die Verfassung dann am 9. Mai 2004 feierlich in Rom unterzeichnen und den Bürgern im Rahmen der Europawahl im Juni als "Europäische Verfassung" vorlegen. Der Verfassungsgebungsprozess, so der Wunsch der Präsidentschaft, wird damit unter dem Titel "Von Rom (den Gründungsverträgen) nach Rom (der neuen Europäischen Verfassung)" in die Annalen der Europäischen Integration eingehen.

Doch die Staats- und Regierungschefs sind auf dem besten Weg, dieses Vorhaben zu vereiteln. Sie haben den Zeitplan der Präsidentschaft schon bei der Eröffnung der Regierungskonferenz Anfang Oktober ausgehebelt. Obwohl alle Beteiligten wissen, dass die Zeit läuft, gleichzeitig aber grundlegende Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten bestehen, wurden wertvolle Stunden verschenkt: die Staats- und Regierungschefs haben sich in Rom lediglich darauf beschränkt, ihre jeweiligen, bereits im Vorfeld erschöpfend vorgebrachten nationalen Vorbehalte darzulegen, ohne sich um die von der Präsidentschaft gewünschte konstruktive Herangehensweise zu bemühen. Die "Erklärung von Rom" kommt ebenso pathetisch wie inhaltsleer daher, und der luxemburgische Premierminister Juncker bemerkte nach dem Gipfel lakonisch, "dass die Sitzung von Rom keinen Mehrwert für die Debatte erbracht" habe.

Während die Staats- und Regierungschefs einer Einladung des italienischen Staatspräsidenten Ciampi folgten, begann im Kreise der Außenminister die Aufschnürung des Konventsentwurfs: die Präsidentschaft hatte die Schaffung eines Legislativrates, die Rotation des Vorsitzes in den spezifischen Ratsformationen sowie die Rolle des EU-Außenministers auf die Tagesordnung gesetzt. Eine große Mehrheit sprach sich dabei für die Streichung des Legislativrates aus. Damit wurde frühzeitig die Möglichkeit vertan, die Gesetzgebung in Zukunft transparenter zu gestalten. Im Hinblick auf die Rotation in den Ratsformationen divergierten die Meinungen und der italienische Vorsitz kündigte an, auf der nächsten Sitzung Mitte Oktober Vorschläge zur Klärung dieser Frage zu unterbreiten. Auch in der Frage der Rolle des Außenministers wurden in Rom keine Ergebnisse erzielt.

Die Sitzung der Außenminister am 14. Oktober 2003, die der Vorbereitung der Tagung der Staats- und Regierungschefs dienen sollte, brachte erneut keine Fortschritte in der Sache. Abwarten, so lautete die verhandlungstaktische Devise. Es war daher zu erwarten, dass auch der Gipfel der vergangenen Woche keine Neuigkeiten bringen würde. Eine erneute "Tour de table" bestätigte noch einmal die nationalen Positionen. Vor allem Spanien und Polen bekräftigen ihre Ablehnung der "doppelten Mehrheit" und ihre Forderung nach der Übernahme der Nizza-Regelung und Österreich sprach im Namen vieler "kleiner" Mitgliedstaaten, indem es erneut die Notwendigkeit eines Kommissars mit vollem Stimmrecht für jedes Land unterstrich. Ratspräsident Berlusconi verkündete zwar einen grundsätzlichen Durchbruch in der Frage der "strukturierten Zusammenarbeit", die allen Staaten offen stehen und einer Logik der Komplementarität zur NATO folgen müsse, über die genauen Modalitäten müsse jedoch noch Einvernehmen im Europäischen Rat erzielt werden. "Kompromisse gibt es immer erst ganz am Ende", kommentierte die österreichische Außenministerin Ferrero-Waldner den Verlauf des Gipfels. Kaum verwunderlich, dass die Schlussfolgerungen der Präsidentschaft lediglich einen kurzen Absatz zum Thema Regierungskonferenz enthalten und der knapp zwanzig Seiten lange Text vor allem der europäischen Wachstumsinitiative - die Kommission wird dazu innerhalb der nächsten vier Wochen zehn bis fünfzehn Schwerpunktprojekte in den Bereichen Forschung und transeuropäische Netze vorlegen - und dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gewidmet ist. Beschlossen haben die Staats- und Regierungschefs die Errichtung einer europäischen Agentur für die Verwaltung der EU-Außengrenzen, der italienische Vorschlag zur Einführung eines europäischen Quotensystems für legale Einwanderung stieß hingegen auf Widerspruch unter den Mitgliedstaaten.

In den Medien überwog die Berichterstattung zu den Differenzen hinsichtlich des Aufbaus militärischer Strukturen in der EU sowie zur Vertretung des deutschen Bundeskanzlers und seines Außenministers, die vorzeitig zur Abstimmung über die Hartz-Gesetze im Bundestag abreisten, durch den französischen Kollegen und derzeit wichtigsten Partner in der EU, Jacques Chirac.

Wie wird es nun weitergehen? Die italienische Ratspräsidentschaft hat angekündigt, Mitte November ein Kompromisspaket vorlegen zu wollen und bis dahin in bilateralen Verhandlungen eine mögliche Verhandlungslinie auszuloten. Ein schwieriges Unterfangen, bei dem es auf das Verhandlungsgeschick der Präsidentschaft ankommen wird. Bereits beim Treffen in Rom, auf dem der Gesetzgebungsrat frühzeitig ad acta gelegt wurde, hat sich gezeigt, dass der Konventsentwurf die Regierungskonferenz nicht unangetastet überstehen wird. Das Verfassungsprojekt darf jedoch in seiner Gesamtheit nicht gefährdet werden. Der Konventsentwurf erzielt zwar nicht in allen Bereichen optimale Lösungen, spiegelt aber bereits einen Kompromiss wider, an dessen Zustandekommen auch die Regierungen der Mitgliedstaaten beteiligt waren. Die Präsidentschaft sollte sich deshalb im weiteren Verlauf auf die neuralgischen Punkte des Konventsentwurfs - die Zusammensetzung der Kommission, die Stimmengewichtung im Rat, den Vorsitz und die Zusammensetzung des Rates, die Differenzierung im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie den Gottesbezug in der Präambel - beschränken. Zu diesen strittigen Fragen gibt es vernünftige und politisch durchsetzbare Lösungen, die innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens ausgehandelt werden können. Die Staats- und Regierungschefs müssen dazu vor allem eines tun: sie müssen sich von ihrer Verhandlungstaktik trennen, die die Regierungskonferenz als Nullsummenspiel begreift. Wenn sie dies versäumen, wird es am Ende nur Verlierer geben, denn das Ergebnis wird eine Verfassung sein, auf deren Grundlage die EU-25 (+) nicht handlungsfähig ist. Ob die Präsidentschaft die nötige Führungsfähigkeit besitzt, um dieses Umdenken zu bewirken, werden die kommenden Wochen zeigen: dann wird über das Schicksal des Verfassungsentwurfs entscheiden.


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