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Reformen kommunizieren

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung, herausgegeben von Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Werner Weidenfeld (Hrsg.)
Reformen kommunizieren
Herausforderungen an die Politik
1. Auflage 2007, 258 Seiten
Broschur
ISBN 978-3-89204-910-4
25,00 EUR

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26.09.2007 · C·A·P



Das dramatische Wachstum der PR-Stäbe der Ministerien, für das die Bundesregierung diese Woche Zahlen vorgelegt hat, führt nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung nicht per se zu einer erfolgreicheren Politikvermittlung. Denn trotz besserer Ausstattung weise die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und insbesondere die Vermittlung notwendiger Reformen in Deutschland nach wie vor Defizite auf. Zu dieser Einschätzung kommt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung, die von Prof. Dr. Werner Weidenfeld herausgegeben wurde. So sei es auch der Großen Koalition beispielsweise bei der Gesundheitsreform nicht gelungen, ihre Kernanliegen so zu vermitteln, dass sie von einer Mehrheit der Bürger akzeptiert würden. Damit zeige sich bei der Regierung von Angela Merkel eine ähnliche Schwäche wie bei der Reformpolitik ihres Vorgängers. Dass daraus ein grundlegendes Problem entstehen kann, belegen Umfragen zum nachlassenden Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Demokratie und ihre Institutionen. So habe sich im Jahr 2006 erstmals eine Mehrheit der Bürger unzufrieden über das Funktionieren der Demokratie geäußert. Diese Defizite können nach Auffassung der Stiftung weniger durch eine quantitative Vermehrung der Personalstellen für PR-Mitarbeiter überwunden werden, sondern vielmehr durch eine wirklich strategische Konzeption der politischen Kommunikation.

Nach einer aktuellen Veröffentlichung der Bundesregierung ist die Anzahl der Mitarbeiter aller Ministerien, die für die Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden, zwischen 1998 und 2007 von 204 auf 285 oder um knapp 40 Prozent gestiegen. Das entsprach zuletzt 1,5 Prozent aller Mitarbeiter der Bundesministerien. Im Juni 1998 war es noch ein Prozent. Weiter gestiegen sind zuletzt auch die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit. So kann die Bundesregierung in diesem Jahr 84 Millionen Euro für diesen Zweck ausgeben, im kommenden Jahr sind sogar 91 Millionen Euro eingeplant.

Nach wie vor, so die Studie, werde das Instrument Kommunikation von der Politik vor allem nur in Wahlkämpfen und in Krisensituationen professionell genutzt. Unverändert betrachten viele Politiker Öffentlichkeitsarbeit lediglich als Appendix "guter Politik". Entgegen dieser weit verbreiteten Auffassung, so die Bertelsmann Stiftung, ist politische Kommunikation in einer mediatisierten Gesellschaft allerdings Kernbestandteil strategischen Regierens. Sie müsse daher bereits bei der Herbeiführung politischer Entscheidungen berücksichtigt werden. Prof. Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung: "Noch immer wird unterschätzt, dass jedes noch so erstrebenswerte Ziel an einer fehlerhaften Kommunikation scheitern kann. Diese Erkenntnis spiegelt sich inzwischen zwar in vielen politischen Lippenbekenntnissen wieder. Sie hat aber noch kaum praktischen Niederschlag in der Strategieführung der Politik gefunden. Strategische Kommunikation bleibt das Stiefkind deutscher Reformpolitik."

Noch immer herrsche im deutschen Politikbetrieb das Denken vor "Wer reformiert, wird abgewählt". Beispiele wie der erfolgreiche Umbau des Arbeitsmarktes in Dänemark, die Beschäftigungs- und Sozialpolitik in Großbritannien und Finnland sowie die grundlegende Reform des Rentensystems in Schweden würden jedoch belegen, dass umfassend angelegte und vertrauenstiftende Kommunikationsstrategien durchaus Wählerunterstützung für Reformprozesse mobilisieren können. Zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren einer gelungenen Reformkommunikation gehörten beispielsweise die Formulierung einer positiven Gesamtbotschaft, eine glaubwürdige, problemadäquate und inspirierende Sprache und ein realistisches Erwartungsmanagement. Außerdem müssten einzelne Etappen und gesetzgeberische Maßnahmen klar beschrieben und in den Kontext des Gesamtziels gestellt werden. Öffentliche Politikvermittlung müsse demnach eine stärkere Orientierungsleistung erbringen.

Defizite stellt die Stiftung auch im Bereich der Binnenkommunikation deutscher Politik fest. Parteien und Parlament müssten stärker als bisher die eigenen Reihen einbinden und Multiplikatoren einbeziehen. Leonard Novy, Projektmanager der Bertelsmann Stiftung: "Wenn beispielsweise Abgeordnete des Mehrheitslagers nicht in der Lage sind, in ihren Wahlkreisen die Regierungslinie zu vertreten, oder untere Parteigliederungen von Maßnahmen nur noch über die Massenmedien erfahren, riskiert die Politik den Verlust von Basisloyalitäten und verhindert den Erfolg ihrer Politik."

Als strukturelle Schwäche der Reformkommunikation identifiziert die Stiftung Abstimmungsschwierigkeiten und Rivalitäten zwischen Bundespresseamt, Bundeskanzleramt und Ministerien. Sie gefährdeten die Kohärenz der Botschaften. Anders als in Großbritannien sei eine zentrale Verankerung der Öffentlichkeitsarbeit an der Spitze des Regierungsapparates in der deutschen Koalitionsdemokratie nicht realisierbar. Dennoch könne das Bundeskanzleramt in seiner Rolle als "strategisches Zentrum" darauf hinwirken, dass Kommunikation stärker als bisher in die strategische Prozess-Steuerung integriert und von Anfang an "mitgedacht" werde.

Prof. Werner Weidenfeld: "Eine Reformpolitik, die darauf verzichtet, Strategien der Binnen- und Außenkommunikation von Anfang an mitzudenken, gefährdet gesellschaftliche Modernisierungsprozesse - denn sie untergräbt das Vertrauen der Bürger in die Politik. Deshalb gilt für Parteien wie Regierung: Wollen sie strategiefähig bleiben und Mehrheiten für ihre Programme sichern, müssen sie die Kommunikationsfähigkeit zur Kernkompetenz ausbauen. Dafür können die erfolgreichen Beispiele aus dem benachbarten Ausland wertvolle Hinweise liefern."

Die Studie der Bertelsmann Stiftung ist als Buch unter dem Titel "Reformen kommunizieren - Herausforderung an die Politik" erschienen.

Diskussionsveranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse

Unter der Überschrift "Reformen kommunizieren - Herausforderungen an die Politik" organisiert die Bertelsmann Stiftung auf der Buchmesse eine Podiumsdiskussion zu ihrer Studie.

Begrüßung und Einführung in das Thema: Werner Weidenfeld, Direktor, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Podiumsteilnehmer sind:

  • Tissy Bruns, Tagesspiegel, Leiterin Parlamentsredaktion
  • Peter Ruhenstroth-Bauer, Rechtsanwalt und Staatssekretär a.D., ehem. stellv. Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung;
  • Leonard Novy, Projektmanager, Bertelsmann Stiftung
  • Moderation: Stephan Detjen, Deutschlandradio

Forum Dialog:
Freitag, 12.Oktober 2007, 12.45 bis 13.45 Uhr Raum: Halle 6.1 E 905


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