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Deutschland und Israel: Perspektiven für die Zukunft

Deutsch-Jüdischer Dialog in Jerusalem

07.03.2006 · Bertelsmann Forschungsgruppe Politik




George Lord Weidenfeld, Avishai Braverman, scheidender Präsident der Ben Gurion Universität und Kandidat für das Amt des Finanzministers, und Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung und Direktor des C·A·P.

Beim Deutsch-Jüdischen Dialog der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Londoner Verleger George Lord Weidenfeld vergangene Woche in Jerusalem stand die Frage nach der Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen im Mittelpunkt.

Die Veranstaltung fand - wenige Wochen vor den israelischen Parlamentswahlen - in einer Zeit vitaler politischer Bedeutung für die Zukunft Israels statt. Der Konflikt mit den Palästinensern wird bei den Wahlen im März eine entscheidende Rolle spielen. Der israelisch-palästinensische Konflikt hat mit dem Wahlsieg der Hamas, aber auch vor dem Hintergrund dramatischer Veränderungen im Nahen und Mittleren Osten zusätzliche Brisanz erhalten. Die Konfrontation mit dem Iran, die instabile Lage im Irak, die gefährliche Schwäche des Regimes in Syrien - all dies hat unmittelbare Konsequenzen für die Sicherheit Israels.

Dabei treten dringende andere wirtschafts- und sozialpolitische Themen im Wahlkampf hinter Sicherheitsfragen zurück.

Die Teilnehmer an den traditionell vertraulichen Beratungen - führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien aus Deutschland und Israel, Europa und den Vereinigten Staaten - stimmten in der positiven Grundbewertung der besonderen Beziehungen beider Länder überein. Deutschland und Israel sind heute durch ein dicht geknüpftes Netz politischer, wirtschaftlicher, kultureller und persönlicher Beziehungen miteinander verbunden. Deutschland ist nach den Vereinigten Staaten der wichtigste Partner Israels.

Ein Ergebnis der Diskussionen war aber auch der Befund, dass die Beziehungen entscheidenden Veränderungen entgegengehen. Der Generationswechsel und die sich verändernde Rolle der Vergangenheit für die Beziehungen, aber auch die Fragen nach den Interessen und Zielen beider Staaten, verdeutlichten den gemeinsamen Handlungsbedarf. Deutschland und Israel haben ein gemeinsames vitales Interesse an Stabilität im Nahen und Mittleren Osten und sehen sich gemeinsamen Herausforderungen etwa in Fragen des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gegenüber.

Sehr positiv wurden die Chancen für verstärkte wirtschaftliche Kooperation insbesondere im Hightech-Bereich bewertet. Hier liegen große und bislang weitgehend ungenutzte Potenziale in der Realisierung von Synergieeffekten aus den unterschiedlichen und einander ergänzenden Stärken in den jeweiligen Kulturen.

Deutsch-Israelische Beziehungen

Israel und Deutschland sind heute, mehr als 40 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen und über 60 Jahre nach Ende der Schoah und des Zweiten Weltkriegs, durch ein dicht geknüpftes Netz politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller sowie persönlicher Beziehungen miteinander verbunden. Häufig wird darauf verwiesen, dass Deutschland der nach den Vereinigten Staaten wichtigste Partner Israels sei.

Dies ist das in der Summe überaus positive Ergebnis eines mühevollen und schmerzhaften Prozesses, der keineswegs linear verlaufen ist, sondern von Schwankungen und Krisen begleitet war. Insbesondere in den vergangenen Jahren war die Dynamik der Beziehungen dabei wesentlich von Veränderungen auf deutscher Seite bestimmt, die sich in drei Zusammenhängen zeigten: dem Nahostkonflikt, der neu akzentuierten Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit, und der zunehmenden Einbettung deutscher Außenpolitik in den europäischen Rahmen.

Der Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern, verschärft durch den Beginn der zweiten Intifada, hatte in den vergangenen Jahren europaweit zu einer Welle der Ablehnung gegenüber Israel und verbaler und physischer Gewalt gegen Juden geführt. Erst der international sehr positiv bewertete Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen und der nördlichen Westbank bewirkte dann einen deutlichen Stimmungsumschwung in der öffentlichen Meinung und Berichterstattung.

Mit der allmählich entstehenden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden zunehmend außenpolitische Kompetenzen aus Berlin nach Brüssel übergehen. Damit steht Deutschland zukünftig möglicherweise immer stärker dem Dilemma gegenüber, zwischen einer eigenen traditionell Israelfreundlichen Haltung und der Wahrung des europäischen Konsenses abzuwägen und zu entscheiden.

In dieser Situation ist es für die Sicherung der deutsch-israelischen Beziehungen essentiell, über die Erinnerung hinaus gemeinsame Interessen zu identifizieren, die ein tragfähiges Fundament für die Zukunft bilden können. Dazu gehören strategische Partnerschaften im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ebenso wie in den wirtschaftlichen Beziehungen.

Naher und Mittlerer Osten

Die Region des Nahen und Mittleren Ostens ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Objekt der Politik internationaler Akteure geworden. Ihre Neuordnung und Transformation, zumindest aber ihre Stabilisierung stehen auf der Prioritätenliste internationaler Politik obenan.

Durch den Irak-Krieg haben sich die Machtverhältnisse in der Region fundamental verändert. Hinzu kommen weitere Konfliktfelder mit Auswirkungen weit über die Region hinaus: der israelisch-palästinensische Konflikt, die weiter bestehenden Konflikte um Grenzen und den Einfluss am Golf, die mögliche Verbreitung von Massenvernichtungswaffen insbesondere im Zusammenhang mit dem Atomprogramm des Iran, sowie die religiöse Aufladung bestehender Auseinandersetzungen.

Wirtschaftliche Beziehungen

Israel hat die Rezessionsphase der Jahre 2001 bis 2003 überstanden. Die makroökonomischen Basisdaten der vergangenen zwei Jahre zeigen die relative Stärke der israelischen Wirtschaft: Dank einer bislang sehr gemäßigten Inflation, einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von etwa 5 Prozent, den Ergebnissen einer entsprechenden Geld- und Kreditpolitik und steuerlichen Anreizen profitiert die israelische Wirtschaft von günstigen Rahmenbedingungen.

Bei dieser Entwicklung haben zwei Elemente eine wesentliche Rolle gespielt: zum einen ein anhaltend hohes Exportniveau, das vor allem vom Hochtechnologiebereich getragen wird, und zum anderen die Rekordhöhe der ausländischen Investitionen (2005: 9,7 Mrd. US Dollar). In den Bereichen der Bio- und Gentechnologie, der Materialforschung und der Informations- und Kommunikationstechnologie haben israelische Unternehmen Weltmarktführungspositionen erreicht.

Der israelische Unternehmer Michael Federmann wies darauf hin, dass Deutschland Israels zweitwichtigster Handelspartner ist. 2005 exportierte Israel für 1,3 Mrd. US Dollar nach Deutschland und importierte für 2,9 Mrd. Dollar. Als Region ist die EU Israels wichtigster Handelspartner. 37 Prozent seiner Warenimporte bezog Israel 2005 aus der EU, verglichen mit 15 Prozent aus den USA. Bei den Exporten waren es 34 Prozent (USA 28 Prozent).

Mit der Osterweiterung der EU ist Deutschland noch mehr zum Zentrum Europas geworden und ins Blickfeld israelischer Unternehmen gerückt. Zahlreiche israelische Unternehmen, besonders im Hochtechnologie-Bereich, haben Deutschland als europäischen Stützpunkt für Marketing, Vertrieb und Logistik gewählt. Der Umfang israelischer Investitionen in Deutschland übertrifft den deutscher Investitionen in Israel bei weitem.

Auf die Bedeutung der Wirtschaft für den Frieden in der Region verwies der israelischen Investor Benny Gaon. Gesunde wirtschaftliche Rahmenbedingungen sind eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, ja für den Frieden in der Region. Diesem Aspekt der Friedensbemühungen ist bislang nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt worden, insbesondere im israelisch-palästinensischen Kontext. Die palästinensische Wirtschaft muss wieder ein ihrer Kapazität entsprechendes Produktivitätsniveau erreichen um Arbeitsplätze zu schaffen, Wohlstand zu erzeugen und Armut zu verringern. Nur eine offene und wachsende palästinensische Wirtschaft schafft die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Frieden.

Der Privatsektor sollte zur Lokomotive für wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung werden. Israel, die Palästinensische Autonomiebehörde und die internationale Gemeinschaft tragen eine entscheidende Verantwortung dafür, den Privatsektor durch die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen zu unterstützen. Der Wahlsieg der palästinensischen Hamas erschwert aber die dringend notwendige Entwicklung in diese Richtung. Auch die israelische Seite wird erst nach den Parlamentswahlen wieder (ver)handlungsfähig sein.


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