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„Die Welt ist aus den Fugen geraten“

Der Politikwissenschaftler Prof. Werner Weidenfeld spricht über die weltweite Zunahme bewaffneter Konflikte und deren Folgen.

17.02.2016 · Focus Money 4/2016



FOCUS-MONEY: 2015 gab es eine beunruhigende Anzahl bewaffneter Konflikte. Ist die Welt ein unsicherer Ort geworden?

Werner Weidenfeld: „Unsicherer Ort“ ist eine Untertreibung. Kriegerische Konflikte dehnen sich derzeit aus und werden intensiver als jemals zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die asymmetrische Verfügung über Rohstoffe, Technologie und Energie lädt zu Konflikten auch förmlich ein. Dazu kommt: Die weltpolitische Machtarchitektur in den Zeiten des Ost-West-Konflikts, die viele Konflikte durch Dominanz der beiden Weltmächte diszipliniert gehalten hat – nicht zuletzt wegen der gigantischen Militärparade auf beiden Seiten – existiert heute so nicht mehr. Die USA sind keine dominante Weltmacht mehr oder wollen keine sein. Stattdessen beobachten wir viele Mächte mit unterschiedlichen Interessen: China, Russland, Indien und Europa.
Auch da ehemals in der Sicherheitspolitik dominante Abschreckungsprinzip wirkt bei Angriffen wie den Terroranschlägen in Paris oder jüngst in der Türkei nicht. Der Hinweis „Wenn du mich angreifst, musst du mit deiner Vernichtung rechnen, weil ich danach zurückschlage“ wird Terroristen nicht beeindrucken. Diese Terrorangriffe sind ja ein Akt des Selbstmords, der die paradiesische Erfüllung verheißt. In dem Moment, in dem diese Art Denkweise dominant wird, ist das Abschreckungsprinzip ausgehebelt.

MONEY: Ist Terrorismus auch eine Folge einer weltpolitischen Ordnung?

Weidenfeld: In gewisser Weise ja. Im Gefolge dieser Entwicklungen haben wir Staats-Zerfall-Phänomene zu beobachten. Denken Sie an Syrien, Libanon und andere. Ohne funktionierende staatliche Strukturen können sich andere Formen von Gewaltentwicklung breitmachen. Das führt zu dem Phänomen, das wir beide hybride Kriege nennen. Wir haben es mit global agierenden terroristischen Netzwerken zu tun. Da wissen Sie nicht, wo der Feind steht.

MONEY: Welche Konfliktherde könnten sich Ihrer Meinung nach in nächster Zeit besonders zuspitzen?

Weidenfeld: Die Situation im Irak und in Syrien wird uns mit Sicherheit weiterhin beschäftigen. Aber auch Saudi-Arabien und den Iran sollte man im Blick behalten. Die Zuspitzung des Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten, die wir jetzt beobachten und die ich vor zwei Jahren vorausgesagt habe, beruht auf jahrhundertealten politisch-kulturellen Konflikten. Es geht darum, wer gewissermaßen die Nachfolge Mohammeds für sich beanspruchen darf. Dieser religiöse Konflikt verbindet sich mit staatlichen Interessen. Der Iran hat ein Interesse daran, eine dominante Rolle im Mittleren Osten zu spielen, Saudi-Arabien will dagegenhalten. Nun zeichnen sich in Saudi-Arabien innenpolitische Schwierigkeiten ab. Das Land hat durch den gesunkenen Ölpreis erheblich weniger Einnahmen. Wenn diese Mittel – mit denen bisher auch die eigene Bevölkerung in gewisser Weise ruhiggestellt wurde – jetzt ausbleiben, kann es für die Herrschaftsstruktur gefährlich werden. Das verleitet Saudi-Arabien dazu, den Kampf um die Vorherrschaft in der Region offensiver auszutragen.

MONEY: Neben dem Mittleren Osten gibt es auch in Asien einige ernste Konfliktherde. Nordkorea provozierte beispielweise jüngst mit einem erneuten Atomwaffentest. Wie schätzen sie Dort die Lage ein?

Weidenfeld: Die Staatsführung in Nordkorea halte ich für unkalkulierbar. Hier spielt China als großer Nachbar die entscheidende Rolle. Wenn China intervenieren würde, wäre das wohl die einzige Chance, Nordkorea von seinem Konfrontationskurs abzubringen.

MONEY: China verunsichert seine Nachbarn allerdings zunehmend durch sein Vorgehen im südchinesischen Meer.

Weidenfeld: Die weltpolitische Rolle, die China vor dem Hintergrund eigener ökonomischer Probleme einnehmen will, ist noch offen. Man könnte sich auch in China durchaus eine Art Ablenkung von innenpolitischen Probleme durch eine offensive internationale Politik vorstellen.  Entscheidend wird die Frage sein: Wie geht die Weltmacht Amerika mit der aufstrebenden Weltmacht China um? Washington hat ja mit dem ‚,Schwenk nach Asien’’ 2011 eine strategische Neuausrichtung beschlossen. Je nachdem, wie China in der Region agiert, muss Amerika aus eigenem Interesse dort in Zukunft aktiv Präsenz zeigen. Dazu gehört auch, die maritime Durchsetzungsfähigkeit sicherzustellen. Das pazifische Japan hat seine Grundsatzbeschlüsse zur Sicherheitspolitik auf Grund der Lage mit Nordkorea und China korrigiert.

MONEY: Spannungen gibt es auch zwischen Russland und dem Westen. Wie schätzen Sie hier die Großwetterlage ein?

Weidenfeld: Der Auslöser für die Entwicklungen der letzten Jahre war, dass Russland sich nach dem Ende der Sowjetunion nicht mehr ernst genommen fühlte. Diese tiefe Verletzung des Selbstwertgefühls wird kompensiert durch entsprechende mal unkalkulierbare, mal vorhersehbare Aktionen. Die weitere Entwicklung hängt davon ab, ob die USA und andere größere Mächte Russland künftig anders behandeln. Russland hat natürlich viele Fehler gemacht, die man auch hart beantworten muss. Man sollte sich aber auch fragen, warum Russland diese Fehler gemacht hat. Konfliktherde, die derzeit nicht so im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen, aber durchaus Gefährdungspotenzial besitzen, sehe ich in Indien und Pakistan. Die Situation dort wurde bisher ja immer unter positiv aufstrebenden Vorzeichen angesehen. Aber auch Lateinamerika hat seine Probleme.

MONEY: Das klingt alles nicht sehr beruhigend.

Weidenfeld: Die Grundfrage wird sein, wo eine disziplinierende weltpolitische Aktivität im positiven in freigesetzt werden kann. Potenzial hätte die Europäische Union. Das Problem ist aber, dass die Verantwortungsträger immer nur ein situatives Krisenmanagement betreiben, statt strategische Antworten zu entwickeln. Einen wirklich kraftvollen Konfliktreglungsmechanismus sehe ich derzeit nicht.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Akteure und die Art der kriegerischen Auseinandersetzungen halte ich daher eine weltweite Aufrüstung für sehr wahrscheinlich. Die Konflikte, die wir momentan beobachten und die sich vielleicht noch abzeichnen, wollen ja mit Waffen unterfüttert werden.



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