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Scheitert der Euro?

Der Politologe Weidenfeld über Höhenflüge, Hiobsbotschaften und Herausforderungen

Der Euro bringt Europa nicht näher zusammen, sondern wird immermehr zum Sprengsatz, meinen einige Ökonomen. Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld sieht die Lage dennoch eher gelassen.

11.08.2012 · Stuttgarter Nachrichten



Herr Weidenfeld, diesmal herrscht in Europa angeblich die ganz große Krise. Der Euro spaltet Europa. Wie dramatisch ist die Lage?

Wenn die Hiobsbotschaften Realität wären, dann wären wir schon längst untergegangen, und es würde auch dieses Interview nicht geben. Es wird eine gewisse Katastrophendramatik inszeniert, in Wirklichkeit handelt es sich um eine große politische Herausforderung, die Europa schon etliche Male gemeistert hat.

Trotzdem: Ist es nicht etwas anderes,wenn es heute um Milliarden und Billionen geht, und alle fühlen sich über den Tisch gezogen?

Von Anfang an ist völlig klar: Eine Währungsunion kann nur mit einem starken politischen Gestaltungsrahmen funktionieren. Es geht also um einen politischen Vorgang und nicht nur um Bewegungen anonymer Märkte. Der Primat des Politischen war von Anfang an gegeben. Es ist abwegig, eine Währung ohne politischen Gestaltungsrahmen zu denken. Den haben die Währungen der USA, Chinas, Japans und anderer, nur der Euro kommt ohne diesen Rahmen aus. Das trägt in Schönwetterzeiten, die jetzt vorbei sind. Jetzt muss nachgetragen werden, was wir schon in Maastricht vor 20 Jahren wussten.

Man wirft der politischen Klasse vor, dass sie sich von der Finanzwelt überrollen lässt und nicht die Kraft hat, diesen politischen Rahmen zu setzen.

Aber das ist ja das große Thema, und da wird die politische Klasse nicht drumherum kommen. Es hat einen politischen Lernprozess gegeben. Der Fiskalpakt, der jetzt ratifiziert wird, ist nicht das Ende der Geschichte. Der nächste große Schritt ist die Komplettierung zu einer politischen Union mit einer Europäisierung der Haushaltspolitik, eine gemeinsame Haushalts- und Steuerpolitik.

Jetzt werden erstmals die Sozialsysteme angesprochen, die bisher der einzige Bereich sind, bei dem Europa keine Kompetenz hat. Es hat ein gigantischer Machttransfer stattgefunden, aber man hat die Sozialsysteme immer herausgelassen.

Sie sprechen von einem „gigantischen Machttransfer“. Das ist es ja, wovor die Menschen Angst haben: eine übermächtige, anonyme und demokratisch nicht legitimierte Euro-Bürokratie.

Damit sind die Großthemen der nächsten Jahre beschrieben. Natürlich fragen die Menschen: Sind die denn dazu überhaupt legitimiert? Wer entscheidet über die 700 Milliarden Euro des Rettungsschirms ESM? Das zweite Großthema ist die Transparenzfrage. Diese Vorgänge, die ein unglaubliches Machtkonglomerat ordnen sollen, sind intransparent. Das dritte Thema, das uns begleiten wird, ist die Führungsfrage, die in diesem Machtkoloss ungeklärt ist. Wir haben in Europa als Führungsämter den Präsidenten des Europäischen Rats, den Präsidenten des Ministerrats, den Präsidenten der Kommission, den Hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik, den Vorsitzenden des Euro-Rats. Wer hat das Sagen? Das weiß niemand.

So etwas geht in der Regel nicht lange gut.

Wir sind im Moment auf europäischer Ebene in einem Machtkampf. Häufige Gipfel bedeuten, dass die nationalen Regierungen versuchen, das Heft in der Hand zu behalten. Dagegen lehnt sich jetzt das Europäische Parlament auf. Die Kommission versucht, ihr eigenes Spiel zu spielen.

Würde ein Austritt oder Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro Europa zerstören, wie es unter anderem die Griechen behaupten?

Griechenland hat weniger Einwohner als der Freistaat Bayern und eine Wirtschaftskapazität des Landes Hessen. Der Austritt wäre nicht wirklich dramatisch, wenn Europa nicht so eng und dicht verflochten wäre. Warum befürchtet die Deutsche Bank, dass sie ins Schliddern kommt, wenn Griechenland zusammenbricht? Als Griechenland in Probleme geriet, wäre es fatal für die Union gewesen, wenn man das Land aus der Euro-Zone genommen hätte. Das hätte alle anderen in eine Art Panik versetzt. Diese Panik hat man vermieden, indem man sich über Jahre um Griechenland bemüht hat. Es ist wichtig, dass alle wahrgenommen haben, wie viel Mühe sich die Beteiligten geben.

Wäre es nicht ein politisch und psychologisch sehr negatives Signal, wenn erstmals ein Schritt zur Desintegration unternommen würde?

Das ist natürlich eine Herausforderung. Die europäischen Führungsfiguren kommen unter größeren Erklärungsdruck. Bisher konnten sie meistens unterstellen, es ginge alles selbstverständlich immer so weiter.Die alten großen Begründungen der unmittelbaren Nachkriegszeit tragen auch nicht mehr. Wenn die Altvorderen der Politik alte Begründungen wiederholen wie etwa, dass es eine Frage von Krieg undFrieden sei, hat dies bei den Menschen nicht mehr die entsprechende Wirkung. Man braucht einen neuen Begründungskontext. Dann kann man auch bei Umfragen sehen, dass dies nicht chancenlos ist.

Was meinen Sie damit?

Das demoskopische Datenmaterial zeigt Negativwerte, wenn Details des Krisenmanagements abgefragt werden. Dort, wo Sie ganz grundsätzlich anfragen, sehen Sie wachsende Positivwerte. Beispiel: Kann Deutschland seine starke Stellung ohne die Europäische Union halten? 65 Prozent der Deutschen sagen Nein. Kann es eine vernünftige Zukunft ohne den Integrationsvorgang geben? 75 Prozent sagen Nein. Bemerkenswert ist auch der einmalige Höhenflug von Kanzlerin Merkel. Sie hat die besten Daten ihrer politischen Laufbahn.

Sie haben also weder Angst, dass der Euro scheitert, noch dass die Union zerbricht?

Das stimmt. Es kommt jetzt darauf an, eine klare strategische Perspektive auf der Grundlage des Lernprozesses von Maastricht bis heute zu entwickeln. Jetzt kommt es darauf an, die Machtstrukturen und die strategische Perspektive nach dem Fiskalpakt zu entwickeln.


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