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Bin Ladens Tod „Ein wichtiger psychologischer Erfolg“

Interview mit Terrorismus-Experte Michael Bauer

Osama bin Laden ist tot, doch al-Qaida lebt weiter. News.de sprach mit dem Terrorexperten Michael Bauer über die Gefahr neuer Anschläge in Deutschland, die Struktur der Organisation und warum der Tod des Terrorfürsten ein wichtiges Signal ist.

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02.05.2011 · news.de



Bedeutet der Tod Osama bin Ladens das Ende des Krieges gegen den Terror?

Michael Bauer: Sein Tod ist eine wesentliche Wegmarke. Nicht, weil damit die Terrorstrukturen wesentlich geschwächt worden wären, sondern es ist ein wichtiges politisches Signal an die Menschen in den USA und in Europa. Bin Laden war eine Symbolfigur, jemand, dem ein Nimbus angehaftet hat. Das fällt jetzt weg. Allerdings war Osama bin Laden relativ unbedeutend, was die operative Ausrichtung und Führung von al-Qaida betraf. Aber er ist ein wichtiger psychologischer Erfolg, gerade für die amerikanische Regierung. Der Vorwurf, man gebe Milliarden für Terrorismusbekämpfung aus und schaffe es nicht, diesen Typen dingfest zu machen, hat keinen Bestand mehr.

Was bedeutet der Tod bin Ladens für al-Qaida?

Bauer: Es wird keine massive Schwächung al-Qaidas geben, in dem Sinne, dass die Organisation nicht mehr weiß, was sie machen soll. Nach dem 11. September hat sich die ganze Struktur von al-Qaida erheblich verändert. Es ist kein stark strukturiertes Netzwerk mehr, sondern besteht vielmehr aus los verknüpften Zellen und regionalen Suborganisationen. Vor dem 11. September gab es eine Führungsstruktur mit einer klaren Hierarchie und einigen herausragenden Personen. Durch die Intervention in Afghanistan und die Festnahmen einer ganzen Reihe von Führungspersönlichkeiten ist die Struktur geschwächt worden. Aber al-Qaida hat darauf reagiert und ist nun eine Art Franchise mit lokalen Terrorzellen, die zwar noch Verbindungen ins pakistanisch-afghanische Grenzland haben, aber keine zentrale Führung mehr brauchen.

Sicherheitsexperten warnen vor Vergeltungsschlägen. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein?

Bauer: Das ist eine angebrachte Warnung. Die abstrakte Bedrohungslage ist zweifellos noch mal gestiegen, aber die Frage ist, ob die konkrete Gefahr wirklich höher ist. Bei den Sicherheitsbehörden herrscht sicherlich erhöhte Alarmbereitschaft. Aber ich habe den Eindruck, dass sie diese ganzen Strukturen hier einigermaßen im Blick haben. Zurecht gibt es immer wieder Klagen über die mangelnde personelle Ausstattung, um alle verdächtigen Personen zu überwachen. Aber wir haben ja jüngst mit den Festnahmen in Düsseldorf gesehen, dass die Sicherheitsbehörden ganz gut aufgestellt sind. Zwar kann man potentielle Anschläge nie ganz ausschließen, aber man muss in Deutschland wohl eher nicht mit Racheakten rechnen.

Welchen Einfluss wird der Tod bin Ladens auf die innenpolitische Diskussion um die Anti-Terror-Gesetze haben?

Bauer: Ich denke, das wird keinen großen Einfluss haben. Entscheidender ist die Festnahme der Düsseldorfer Gruppe. Da hält man sich in der Debatte an die konkreten Entwicklungen hier in Deutschland. Den Tod bin Ladens wird weder jemand zum Anlass nehmen, zu sagen, die Terrorbedrohung sei verschwunden, noch wird jemand sagen, man müsse davon ausgehen, dass hunderte von Schläferzellen hierzulande aktiv werden.

Hat der Wegfall einer charismatischen Figur wie Osama bin Laden Einfluss auf die Bildung solcher lokaler Terrorzellen wie die der Düsseldorfer Gruppe?

Bauer: Wenn man sich die Radikalisierungsprozesse anschaut, ist es nicht so, dass bin Laden unmittelbar involviert gewesen wäre. In der Regel sind es charismatische Figuren im Umfeld dieser jungen Leute, die sie für eine radikale Ideologie interessieren und immer mehr begeistern und ihnen schließlich die Gewaltbereitschaft nahe bringen. Dabei spielen bekannte Figuren wie Osama bin Laden zwar auch eine Rolle, aber auch noch ganz viele andere Faktoren: Berichte über Israel-Palästina, Afghanistan, Kaschmir, das empfundene Unrecht, das Muslimen angetan wird. Es ist eher ein Potpourri an Aspekten, das zur Radikalisierung beiträgt, als die Figur eines Bin Laden.

Bin Laden wurde nicht, wie lange vermutet, irgendwo in den Bergen aufgespürt, sondern in einer Stadt in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt. Was sagt das über die pakistanische Haltung?

Bauer: Über Pakistans Rolle in der Jagd auf Bin Laden wurde viel spekuliert. Was die konkreten Hintergründe waren, ist schwierig einzuschätzen. Diese Operation scheint zumindest vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt worden zu sein. In der Tat saß bin Laden aber nicht irgendwo im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, sondern in der Nähe der Hauptstadt, in einer Stadt, in der auch viele Militärs leben. Das zeigt schon, dass er über gute Helfer-Infrastrukturen verfügen musste. Ich würde aber nicht davon ausgehen, dass es die Politik der pakistanischen Regierung war, Bin Laden zu decken. Es zeigt jedoch, dass Unterstützer in der Administration sitzen, sie vielleicht unterwandert haben. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass Unterstützung von Einzelnen im Militär und Geheimdienst vorhanden war. Es ist aber noch zu früh zu sagen, auf welchem Weg sich Osama bin Laden dort verstecken konnte. Das wird noch aufgeklärt werden müssen.


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