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„Merkel hat ein strategisches Defizit“

Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Das Interview führte Katharina Pätz.

Werner Weidenfeld, 63, war unter Kanzler Helmut Kohl Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Der Politologe lehrt am Centrum für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians Universität in München und ist ausgewiesener Europaexperte. Ein Interview über die Euro-Krise und das Zweifeln an Europa.

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05.06.2011 · Berliner Zeitung



Herr Weidenfeld Europa hakelt. Griechenland, Portugal und Irland stürzen den Euro in die Krise, Dänemark führt wieder Grenzkontrollen ein, die Bundesregierung schert aus der Libyen-Politik aus. Stößt Europa an seine Grenzen?

Das was wir jetzt erleben ist eine von mehreren Krisen seit Beginn der europäischen Integration. Aber durchaus ein sehr ernster Vorgang, weil im Unterschied zu früheren Ereignissen dieser Art mehrere Mängel und Defizite gleichzeitig auftauchen. Man kann ja noch hinzufügen: Die Transformation Nordafrika und Arabische Welt, der Frieden in Nahost, da ist keine wirkliche Gestaltungsstrategie der Europäer. Die momentane ernste Krise kann aber auch eine positive Seite haben, weil in der Vergangenheit immer wenn es besonders ernst wurde in Europa, ein Lernprozess ausgelöst wurde, der dazu geführt hat, dass die Krise überwunden werden konnte.

Sie meinen die EU wächst aus ihren Krisen. Aber wie ernst ist die Lage?

Schon ernst. Das, was jetzt zusätzlich die Krise vertieft, ist dass mit diesen riesigen Herausforderungen sich für viele gleichzeitig die Frage der Legitimation stellt. Die Bürger fragen sich: Wo kann und wo soll Europa durchgreifen? Und dann haben sie die Frage nach dem grundsätzlichen Zusammenhalt des politischen Systems. Wo darf es denn und wo soll die EU denn durchgreifen. Und in Ländern wie Finnland, Holland oder Frankreich und Ungarn haben Sie durchaus erfolgreiche, rechtspopulistische Bewegungen, die eben ihren Ingrimm an Europa artikulieren und Zustimmung finden. Insofern ist die Krise eine schwerwiegende Herausforderung.

Worin liegen für Sie die Ursache der gegenwärtigen Krise?

Es ist ein doppeltes Problem. Wir haben auf der einen Seite eine Art systematisches Analysedefizit. Woraufhin wir was denn jetzt lösen? Was ist das Ziel von Europa? Und wir haben ein Strategiedefizit. Also mit welchem Konzept wollen wir welche Ziele erreichen? Und dafür welche Instrumente einsetzen? Das ist ein Defizit der Europa-Politik aber auch der nationalen Politiken, die die Europa-Politik ja mitgestalten. Also im Moment sind sie gewissermaßen in einer orientierungslosen Ratlosigkeit der beteiligten Akteure und das führt dann zu Frustrationen von Millionen von Menschen.

Sind Ängste in der Bevölkerung, dass die Währung abgeschafft wird begründet? Wird der Euro abgeschafft?

Nein. Das ist ein völliger Irrtum. Der Euro ist eine außerordentlich starke Währung. Weltweit höchst attraktiv und wenn sie diese Währung nun nicht hätten, dann wären sie wirklich Spielmaterial auf den Weltmärkten der Finanzen.

Wie kann die EU die Krise überwinden?

Wir brauchen keine institutionellen Reformen. Die Politik duckt sich weg. Sie gibt keine Erklärungshilfen. Wann hat denn bisher der deutsche Bundestag bei den Milliarden-Programmen, die zur Eurostabilisierung aufgebracht worden sind, die für die Transformation in Nordafrika aufgebracht worden sind, wirklich abgeklärt, in Ruhe beraten und das für gut geheißen? Die Menschen werden mit der Intransparenz alleine gelassen. Der Erfolg Europas wird von vielen Menschen an der Freizügigkeit Europas festgemacht. Da geht das Problem los! Europa wird nicht an ein paar Flüchtlingen scheitern. Vielmehr ist die Legitimitätsfrage ein ernsthaftes Problem, das ausgelöst wurde durch die verschiedenen Krisenerscheinungen wie Schengen, der Euro-Krise, um nur einige zu nennen.

Wie beurteilen Sie Merkels Krisenmanagement?

Merkel trägt die Verantwortung die Politik zu erklären. Dieser Pflicht kommt sie nicht nach. So haben die Grünen eine Verfassungsklage eingereicht. Darin wird beanstandet, dass die Bundeskanzlerin ihre Politik-Entscheidungen nicht ausreichend vor dem Bundestag erklärt. In vielen Einzelentscheidungen ist die Europa-Politik richtig, etwa die Stützung des Euro, die Entscheidung für die Unterstützung von Irland. Sie geht richtige Schritte, aber hat ein strategisches Defizit und vor allem ein Erklärungsdefizit.


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