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„Das ist nur eine Freundlichkeitsoberfläche“

Bundeskanzlerin Merkel bei Präsident Obama - Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld

07.06.2011 · ARTE Journal



Roter Teppich für Angela Merkel in Washington. Bei ihrem zweitägigen Staatsbesuch wird die Bundeskanzlerin als Ehrengast von einem Termin zum nächsten gereicht. US-Präsident Obama lud sie zum privaten Abendessen in einem Nobel-Restaurant von Georgetown ein. Nach dem politischen Rendezvous war von einem „schönen, zweistündigen Gespräch in entspannter Atmosphäre“ die Rede. Das war jedoch nur ein Vorgeschmack auf den Höhepunkt der Reise: Nach einem Empfang mit militärischen Ehren vor dem Weißen Haus wurde Angela Merkel am Dienstagabend bei einem Staatsbankett die Freiheitsmedaille verliehen – die höchste zivile Auszeichnung der USA. Merkel ist die erste europäische Regierungschefin, die von Obama entsprechend gewürdigt wird.

Die Vereinigten Staaten haben dem Gast aus Deutschland den ganz großen Empfang bereitet. Dieser wiederum betonte seinerseits das „vorzügliche Verhältnis“ zum amerikanischen Partner. Doch wie steht es denn nun wirklich um das deutsch-amerikanische Verhältnis? Trotz aller schönen Worte - von einer Freundschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama kann nicht die Rede sein. Das behauptet Prof. Werner Weidenfeld, der unter Kanzler Helmut Kohl Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen war. ARTE Journal hat mit dem Leiter des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) über die Höhen und Tiefen der transatlantischen Beziehung gesprochen.

ARTE Journal: Vor ihrer Abreise sprach Angela Merkel von einer „sehr guten und freundlichen Beziehung mit Präsident Obama“, während Obama die Bundeskanzlerin als „gute Freundin“ bezeichnete. Wie steht es denn wirklich um das persönliche Verhältnis zwischen beiden?

Prof. Dr. Werner Weidenfeld, Politologe: Ja, das sind die üblichen Beschreibungen. Das ist keine Beziehung, die irgendeine besondere strategische, profilierte Ausrichtung hat, sondern in solchen Situationen sprechen sie freundlich übereinander – mehr nicht. Das ist eine Oberfläche und das schadet nicht. Aber das hilft ihnen auch nicht, wenn es zu großen weltpolitischen Herausforderungen kommt. Das muss dann alles neu erarbeitet werden.

ARTE Journal: Kann man also von Freundschaft sprechen oder handelt es sich bloß um eine von gegenseitigem Respekt geprägte politische Vernunftsbeziehung?

Weidenfeld: Nein, das ist eine Freundlichkeitsoberfläche, die Sie dort erleben und nicht mehr. Wenn Sie einen Blick auf die Substanz werfen, dann stellen Sie fest, dass die ja ziemlich dünn ist. Warum? Weil wir es mit einer neuen weltpolitischen Architektur zu tun haben – im Unterschied zu früheren Jahrzehnten. Wir haben jetzt eine Multipolarität ohne strategische Partnerschaften. In der alten, früheren weltpolitischen Konstellation – geprägt vom Ost-West-Konflikt – war eine Partnerschaft strategischer Art zwischen Amerika und Deutschland, zwischen Amerika und Europa gewissermaßen elementarer Bestandteil dieser weltpolitischen Ordnung. Das ist ja nicht mehr der Fall. Wir haben jetzt keine neue strategische Perspektive, sondern es hat eine Erosion dieser Elite gegeben, die früher so etwas ausgemacht hat. Das wird jetzt weder von der amerikanischen Seite noch von der deutschen Seite geboten. Man klopft sich auf die Schulter. Man spricht sehr positiv von der Vergangenheit. Aber man hat keine wirkliche Zukunftsstrategie. Und das ist der Unterschied.

ARTE Journal: Trotz freundlicher Worte – auch die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über den Libyen-Einsatz hat das transatlantische Verhältnis zuletzt deutlich getrübt...

Weidenfeld: Ja, zweifellos. Wenn es wirklich darum gegangen wäre, besonders freundlich von der amerikanischen Seite gegenüber Deutschland aufzutreten, dann hätte man noch eine Stunde Abstecher-Besuch in Berlin bei der letzten Europareise von Obama erleben können. Es gab auch Irritationen zur UNO-Sicherheitsratsentschließung, wo Deutschland nicht mitgestimmt hat. Das hinterlässt immer entsprechende Spuren. Ich darf Sie daran erinnern – das hat Obama auch nicht vergessen – dass er in seiner Wahlkampagne nach Berlin kam, um eine Rede zu halten, die auch extrem erfolgreich war. Über 100.000 Menschen wollten ihn hören. Er hätte aber gerne am Brandenburger Tor gesprochen und das hat Frau Merkel untersagt. So etwas vergisst man nicht. Ich habe das in andere Richtungen erlebt: Bundeskanzler Kohl hatte in seiner Rolle als Oppositionsführer den Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagan empfangen. Und die gesamte Bundesregierung hatte es abgelehnt, Ronald Reagan zu empfangen. Und das hat der spätere Präsident Ronald Reagan nie vergessen. Deshalb hat er es auch durchgehalten mit Kohl auf dem Soldatenfriedhof nach Bitburg zu gehen, obwohl er heftiges Gegengefecht in Amerika im Blick darauf hatte. Das sind dann so Momente, wo Freundschaften entstehen. Und Angela Merkel hatte Obama den Ort Brandenburger Tor untersagt. Das vergisst man nicht.

ARTE Journal: Das heißt, Frau Merkel hat die Gelegenheit verpasst, eine Freundschaft aufzubauen?

Weidenfeld: Zweifellos. Jetzt gibt es Interessen und wann immer es vom Interesse angemessen ist, dies entsprechend als Kooperation zu praktizieren, dann kommt das auch zustande. Es gibt ja in der Regierungspolitik von Angela Merkel kein Antiamerikanismus, sondern da ist man freundlich. Es gibt auch keinen Antiaffekt in Amerika gegen Deutschland oder Europa. Aber es gibt nicht mehr – von beiden Seiten aus – die große Attraktion, mit dem Gegenüber, mit dem Partner kooperieren zu können. Dieser Magnetismus ist ja in Deutschland auch nicht mehr so vorhanden, sondern da blickt man auch nach Indien, nach China und das macht Amerika umgekehrt ja auch.

ARTE Journal: Und doch liegt es im Interesse Deutschlands und der USA zu kooperieren, wenn man da zum Beispiel an den Afghanistan-Einsatz denkt...

Weidenfeld: Ja, das tun wir dann ja auch. Ob das aber die optimale strategische Ausrichtung ist, da habe ich meine Zweifel. Und dass es da zu einer strategischen Abstimmung kommt im engeren Sinne, da habe ich auch meine Zweifel. Ich höre von diesen Kreisen, die da verantwortlich sind, immer wieder, das seit dem Nicht-Mitabstimmen der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat die deutsche Seite auch bei den anderen Orten, wo sie präsent ist, nicht in jede Besprechung mehr mit eingeladen werden. Symbolisch konnten Sie das ja beim letzten G8-Gipfel in Frankreich sehen vor wenigen Wochen. Da gab es nochmal eine besonders intensive Zusatzsitzung, aber ohne Deutschland.

ARTE Journal: Merkel scheint nicht mehr davor zurückzuschrecken, den amerikanischen Partner zu verärgern und Meinungsverschiedenheiten klarer auszutragen. Deutet das auf einen Wandel des Verhältnisses zwischen Deutschland und den USA hin?

Weidenfeld: Das Verhältnis hat nicht mehr die politisch-kulturelle Grundierung früherer Jahrzehnte. Und deshalb gehen sie dann mit diesem Verhältnis auch anders um als in früheren Jahrzehnten. Das ist schon klar. Das ist aber bei Angela Merkel nicht das erste Momentum. Auch ihr Vorgänger Gerhard Schröder hatte Probleme mit den Amerikanern. Das ist diese Phase der „Nach-Ost-West-Konflikt-Ära“ und da hat es noch keine neue, zuverlässige Architektur der Weltpolitik gegeben. Aber Sie dürfen auch nicht mehr unterstellen, dass es zu einer sehr direkten, strategischen Kooperation zwischen beiden Partnern kommt, so wie es in den 60er, 70er und auch noch 80er Jahren der Fall war.


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