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„Wahrscheinlicher, einen Maßkrug übergezogen zu bekommen“

C·A·P-Experte Michael Bauer über Terrorrisiko im Alltag, de Maizieres vorbildliche Informationspolitik und Panikmache als Ziel der Al Kaida

22.11.2010 · derStandard.at



Michael Bauer vom Centrum für angewandte Politikforschung in München lobt den deutschen Innenminister Thomas de Maiziere für seine Informationspolitik in Sachen Terrorbedrohung. Im Gegensatz zu Ex-Innenminister Schäuble habe er versucht, "das Ganze auf niedriger Flamme" zu kochen, die Bevölkerung hätte ein Recht auf Information. Das neue Gesetz für Vorratsdatenspeicherung werde "früher oder später" ohnehin in einer neuen Form kommen, egal, ob die Diskussion nun aktuell angeheizt werde oder nicht.

Panikmache sei auf jeden Fall ein wesentliches Ziel der Al Kaida, so Bauer. Dieses Mal sei die Bedrohung aber konkret. Trotzdem betont Bauer, dass das Terrorrisiko in Deutschland für den Einzelnen relativ sei: "Das Terrorismusrisiko ist eines der alltäglichen Risiken, und bei weitem eines der geringeren".

derStandard.at: Vor allem zu Zeiten von Innenminister Schäuble gab es in Deutschland Terrorwarnungen im Wochentakt. Ist es diesmal tatsächlich so ernst wie sein Nachfolger de Maiziere sagt, dass es "ein Zeichen von Zivilcourage" ist, auf den Weihnachtsmarkt oder zu einem Fußballspiel zu gehen?

Bauer: Ich verfüge natürlich über keine Geheiminformationen. Aber de Maiziere ist wesentlich zurückhaltender als Schäuble es war. Bei den Warnungen in den vergangenen Jahren hieß es immer wieder, es handle sich um eine "abstrakte Bedrohungslage". Aktuell scheinen die Indizien und Hinweise allerdings wesentlich konkreter sein, als sie es in der Vergangenheit waren.

derStandard.at: De Maiziere warnt vor konkreter Terrorbedrohung und bereitet die deutsche Bevölkerung auf mögliche Anschläge vor, gleichzeitig kritisiert er die Panikmache der Medien. Ist er dafür nicht selbst verantwortlich?

Bauer: Es ist die große Herausforderung der Politik, mit diesem Terrorismusrisiko umzugehen und die richtige Informationspolitik zu betreiben. De Maiziere hat das meines Erachtens sehr gut gemacht. Er hat nicht versucht, die Bedrohung zu instrumentalisieren und dieses oder jenes Anlassgesetz zu fordern. Im Gegenteil, er hat versucht, das Ganze auf niederiger Flamme zu kochen. Ich halte es für konsequent, die Bevölkerung über derart konkrete Hinweise zu informieren. Medienschelte ist aber in dem Fall aber nicht angebracht. Mit so etwas muss die Politik rechnen und man sollte den Anspruch an die Bevölkerung haben, dass sie mündige Medienkonsumenten sind.

derStandard.at: Apropos Anlassgesetzgebung. Das Bundesverfassungsgericht hat im März die bisher praktizierte Regelung der Vorratsdatenspeicherung gekippt. Die aktuellen Terrorwarnungen heizen die Debatte neu an. Die Innenminister der Länder wollen die automatische Speicherung zurück haben und fordern von der Bundesregierung ein neues Gesetz.

Bauer: Das ist eine Debatte, die wir in Deutschland schon länger haben. Das Bundesverfassunggericht hat das Gesetz zu Recht zu Fall gebracht, aber auch einen entsprechenden Rahmen formuliert, in dem es möglich sein sollte, ein entsprechendes Gesetz zu formulieren. Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz früher oder später kommen wird.

derStandard.at: Eine Frage, die auch immer wieder in den derStandard.at-Foren gestellt wird: Könnten die aktuellen Warnungen auch innenpolitischem Ziele in Deutschland verfolgen? Schließlich stehen in den kommenden Monaten mehrere Wahlen an und eine kollektive Bedrohung nutzt doch eher den regierenden Parteien?

Bauer: Wenn Sie damit implizieren, dass die Kommunikation so einer Bedrohungslage nicht auf konkreten Hinweisen beruht, sondern auf politischem Kalkül, um damit Wahlen zu gewinnen, so muss ich sagen: Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist für mich nicht plausibel. Es ist eher so, dass radikale Kreise ihre Propaganda im Vorfeld von Wahlen verschärfen.

derStandard.at: Haben Al Kaida ein Ziel nicht schon erreicht, wenn Panik sich breit macht?

Bauer: Panikmache ist auf jeden Fall ein wesentliches Ziel. Darin erschöpft es sich aber nicht. Ja, oft folgt auf Drohungen, zum Beispiel im Vorfeld von Wahlen, keine konkrete Tat. Das heißt aber nicht, dass das immer so ist. Ob sich die Akteure nun von den erhöhten Sicherheitsmaßnahmen abschrecken lassen, ist eine andere Frage.

derStandard.at: Inwiefern kann man mediale Präsenz dieser Art auch als "psychologisches Motivation" und Botschaft an weit verstreute Mitglieder interpretieren, die v.a. durch die gleiche Ideologie verbunden sind?

Bauer: Die Netzwerke sind auf alle Fälle stärker ausgeprägt, als man bisher dachte. Ich würde aber anzweifeln, dass Drohungen ohne Taten den Zusammenhalt im Netzwerk stärken.

derStandard.at: Außenminister Guido Westerwelle hat gerade auf dem Nato-Gipfel in Lissabon bekräftigt, dass der Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan 2012 beginnen soll. Schon ein Zugeständnis?

Bauer: Das hat klar innenpolitische Adressaten. Jeder in den seriösen Parteien ist sich im Klaren darüber, dass es nicht nur um Afghanistan geht. Zieht man aus Afghanistan ab, kämen dann andere Forderungen an westliche Regierungen. Da müsste dann die Unterstützung gegen die pakistanische Regierung aufgegeben werden, weil die gegen radikale Gruppen im Land vorgeht, und und. Seit Anfang, Mitte der 90er-Jahre gibt es die Bemühungen, die westlichen Staaten dazu zu bringen, ihre Unterstützung von Regierung in der arabischen Welt einzustellen. Und das sind nur die geostrategischen Aspekte.

Afghanistan spielt aber prinzipiell eine sehr große Rolle in der Propaganda der Al Kaida. Nachdem sich die Sowjetunion aus Afghanistan zurückzog, hat man sich das auf die eigenen Fahnen geschrieben. "Wir, mit Gottes Hilfe, haben die Supermacht besiegt", sagte man damals, obwohl die ausländischen Al-Kaida-Kämpfer in Wirklichkeit eine sehr kleine Rolle gespielt haben. Wenn man jetzt einen Rückzug aus Afghanistan beginnen würde, hätte das heute einen ähnlichen Effekt.

derStandard.at: Werden Sie auf einen Weihnachtsmarkt oder zu einem Fußballspiel zu gehen?

Bauer: Natürlich. Wenn ich Karten für ein Bayernspiel bekomme, sofort. Das Terrorismusrisiko ist eines der alltäglichen Risiken, und bei weitem eines der geringeren. Ich sage immer im Vorfeld des Oktoberfestes auf die Frage nach dem Terrorrisiko dort: 'Es ist wahrscheinlicher, einen Maßkrug übergezogen zu bekommen'.


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