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EU-Politik muss Positionen zuspitzen

Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Das Interview erschien auch am 08.06.2009 in gekürzter Form in der Printausgabe der Hessischen / Niedersächsischen Allgemeinen.

Von Ines Pohl

07.06.2009 · HNA Online



Der große Verlierer der Europawahl ist wieder einmal die Wahlbeteiligung. Der Europa-Experte Prof. Werner Weidenfeld wirft den europäischen Spitzenpolitikern vor, dass sie sich in der Vermittlung ihrer Arbeit zu sehr um Strukturen und zu wenig um inhaltliche Positionen bemühen.

Auch wenn jede Partei versuche, das Ergebnis als Erfolg zu bewerten, sei der einzig wirkliche Gewinner die FDP, die auch durch ihren klaren Wirtschaftskurs die Wähler überzeugt habe.

Lässt sich vom Ergebnis der Europawahl etwas für die Bundestagswahl ableiten?

Weidenfeld: Auch wenn wir noch weit entfernt sind von der Bundestagswahl ist es sicher ein Stimmungsbild. Das allerdings auch nicht überbewertet werden darf, da die Wähler in ihrer Entscheidung immer flexibler werden und sie auch immer kurzfristiger treffen. Was man sehen kann ist gewissermaßen die Limitierung der großen Volksparteien. Die Zeiten, in denen sie auf Bundesebene an die 50 Prozent kommen konnten, scheinen endgültig vorbei.

Warum konnte die FDP so deutlich zulegen, obwohl die Weltfinanzkrise ja durchaus etwas mit den von ihr propagierten marktliberalen Grundsätzen zu tun hat?

Weidenfeld: Nun, ein klarer Vorteil der FDP ist es sicher, dass sie sich als Opposition klar von der Großen Koalition distanzieren kann. Zudem wertschätzen die Wähler den eindeutigen wirtschaftspolitischen Kurs der Liberalen. Das genaue Gegenteil trifft für die Union zu. Sie hat in diesem Bereich verloren, weil vielen Wählern nicht klar ist, in welche Richtung sie in diesen Krisenzeiten steuert.

Und die SPD?

Weidenfeld: Das Problem ist, dass sie nur noch ein Profil in den alten klassischen SPD-Feldern hat, also dem Bereich der sozialen Sicherung. In allen anderen Feldern wird ihr kaum mehr Kompetenz zugesprochen. Und hier steht sie natürlich in einer Konkurrenz mit den Linken.

Ein Satz zur CSU?

Weidenfeld: Ein ganz klarer Gewinn für die Partei ist der Bundeswirtschaftsminister von Guttenberg. In Sachen Krisenmanagement vertrauen ihm die Bürger inzwischen mehr als der Kanzlerin. Horst Seehofer selbst wird zwiespältig betrachtet. Einerseits mögen es die Bayern, dass er den Einfluss seiner Partei in Berlin gestärkt hat. 80% werfen ihm aber vor, dass er seine Positionen viel zu häufig wechselt.

Der große Verlierer der Europawahl ist wieder einmal die Wahlbeteiligung. Was bedeutet das im Hinblick auf die demokratische Legitimation des EU-Parlamentes?

Weidenfeld: In erster Linie ist es der Ausdruck davon, dass es eine Wahl ohne Dramatik ist. Die Bürger haben zwar nicht das Gefühl, dass das Parlament irrelevant ist. Da es aber keinen zugespitzten Magnetismus einer Wahlkampagne gibt, bleiben die Wahlen zum Europäischen Parlament Nebenwahlen. Die Bundes- und Landtagswahlen bleiben wichtiger, auch weil 70 Prozent der Deutschen den Eindruck haben, dass ihre Stimme für Europa nichts ausrichtet.

Was wurde im Wahlkampf falsch gemacht?

Weidenfeld: Die Politik hat es bisher nicht verstanden, die Relevanz der europäischen Politik zu übersetzen. Es gibt also ein ganz klares Vermittlungsdefizit der Politik. Die Spitze der Europapolitik muss sich sehr viel stärker auf strategische Grundsatzentwicklungen konzentrieren. Letztlich muss sie mehr in die Erläuterung und Erklärung investieren und dafür vielleicht ein paar Sitzungen weniger durchführen. Die Wahlveranstaltungen waren im Wesentlichen Bildungsveranstaltungen, die ganz generell Informationen über Europa vermitteln wollten. Für Mobilisierungskampagnen aber braucht man unbedingt eine Zuspitzung der Positionen.

Können Sie das etwas konkretisieren?

Weidenfeld: Ein Beispiel ist der Umgang mit der Weltfinanzkrise und der Frage, wie sehr sich Europa einbringen soll. Also, ob man eher der französischen Position anhängt, dass man eine stärker ausgeprägte europäische Wirtschaftsregierung möchte, oder der Position der deutschen Bundeskanzlerin, die sagt, Europa sollte nicht viel mehr tun, als sich ganz liberal zu koordinieren. Daran können Sie große ordnungspolitische Zukunftsperspektiven entwickeln. Das gleiche gilt für Fragen der Energieversorgung oder der Frage, wie Europa die Sicherheit seiner Bürger in dieser neuen Situation der Bedrohung durch internationale terroristische Netzwerke garantieren kann. Also grundsätzlich geht es darum, ganz konkrete politische Handlungsfelder zu benennen.

Würde es helfen, wenn die Kandidaten direkt gewählt werden könnten?

Weidenfeld: Das ist insofern eine theoretische Frage, da das europäische Wahlrecht auf ein Verhältniswahlrecht festgelegt ist. Eine höhere Personalisierung wäre aber natürlich schon hilfreich, weil Politik ja von Personalisierung lebt.

Nun zählt Silvana Koch-Mehrin ja zu den bekanntesten Europa-Politikern. Kritiker sagen, das ist in erster Linie den Fotos in Hochglanzmagazinen ihres schwangeren Bauches zu verdanken. Ist das nicht Ausdruck davon, wie problematisch es sein kann, zu sehr auf ein bloßes Gesicht zu setzen?

Weidenfeld: Nun, es ist eine Frage, ob eine Abgeordnete die angemessene Strategie fährt. Man kann natürlich im Fall Koch-Mehrin sagen, sie war erfolgreich, weil sie bekannter geworden ist als viele andere. Auch wenn selbst ihr Bekanntheitsgrad gering ist im Vergleich zu anderen nationalen Politikern. Aber es ist ja gerade jetzt im Wahlkampf auch sehr deutlich geworden, dass sie keine Schlüsselfigur in einem Arbeitsparlament ist.

Nun hätte man hoffen können, dass die Wirtschaftskrise das politische Interesse der Menschen verstärkt. Offensichtlich aber scheint die Bevölkerung in der Bewältigung der Krise wenig von Europa zu erwarten?

Weidenfeld: Das ist Ausdruck dieses Vermittlungsdefizites der gesamten politischen Entwicklung. Dieses Wochenende ist ein Weltereignis, es ist das zweitgrößte demokratische Ereignis in der Welt nach den Wahlen in Indien, insgesamt 375 Millionen sind zur Wahl aufgerufen. Zudem hat das Europäische Parlament in den vergangenen 20 Jahren ständig an Macht gewonnen. Die Europäische Union ist letztlich das Rückgrat der politischen Machtarchitektur in Europa überhaupt. Insofern möchte ich diese Schieflage von Bedeutung und Wahlbeteiligung nicht als ein Phänomen der Merkwürdigkeiten bezeichnen. Denn die dramatische Veränderung der Sachverhalte stimmt mit der Wahrnehmung der Bürgen nicht überein.


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