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Zu viel Aktionismus, zu wenig große Linie

Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Bayern vor der Wahl: Die CSU wankt – Es droht der Verlust der absoluten Mehrheit – Das hätte weitreichende Folgen – Die Entscheidung fällt in letzter Minute

Am Sonntag wird in Bayern gewählt. Über den Wahlkampf und die Folgen der Entscheidung sprach Markus Reder von der Tagespost mit Professor Werner Weidenfeld. Professor Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (C·A·P) und Professor für Politische Wissenschaften an der LMU München. Er gilt als einer der einflussreichsten Politikberater Deutschlands.

26.09.2008 · Die Tagespost



Am Sonntag wird in Bayern gewählt. Steht der Freistaat vor einer politischen Zäsur?

Es gibt noch viele unentschlossene Wähler. Da lässt sich das Ergebnis nicht präzise prognostizieren. Was man bereits sagen kann, ist dies: Die kleinen Parteien werden dazu gewinnen und die CSU wird im Vergleich zur letzten Landtagswahl einige Prozente abgeben müssen. Aber die letzte Landtagswahl ist ein eher irreführender Bezugspunkt. Damals gab es eine extrem niedrige Wahlbeteiligung und die CSU trat im Windschatten von Stoibers Kanzlerkandidatur an. Das war eine Ausnahmesituation. Folglich wäre es vernünftiger, als Vergleichsgröße die Wahlergebnisse der Landtagswahlen davor heranzuziehen. Am Sonntag geht es um die Frage der künftigen Machtarchitektur in Bayern. Deshalb ist die Aufmerksamkeit sehr groß, obwohl es ein praktisch themenloser Wahlkampf war.

Über Jahrzehnte war die absolute Mehrheit der CSU so sicher wie das Amen in der Kirche. Jetzt ist sie erstmals in Gefahr. Woran liegt das? Was hat sich verändert?

Die bayerische Gesellschaft passt sich an die übrige deutsche und internationale Gesellschaft an. Die sehr stabilen Milieus, die in Bayern über die Jahrzehnte erheblich stabiler waren als im übrigen Bundesgebiet, werden pluraler, flexibler, situativer, wie die gesamte Gesellschaft in Deutschland. Diese Erosionserscheinungen wirken sich spürbar auf die Bindekraft der CSU aus. CSU und bayerisches Lebensgefühl: Das war lange Jahre eine Einheit. Diese Art der Identifikation hat deutlich abgenommen. Im Übrigen muss man bei dieser Wahl den bundespolitischen Hintergrund im Blick behalten. Ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung ist unzufrieden mit der Großen Koalition. Das beeinflusst das Wahlverhalten. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Auf die Frage, ob man in Bayern eine Koalitionsregierung befürworten würde, antwortet eine Mehrheit der Bevölkerung mit „Ja“. Das sagen selbst einige CSU-Anhänger. All das zusammen machte die Grundstimmung dieses Wahlkampfes aus.

Bedeuten diese gesellschaftlichen Veränderungen, die Auflösung von stabilen Milieus, dass es in Zukunft grundsätzlich schwieriger wird, mit wertkonservativen, christlichen Positionen Politik zu machen?

Nein, es wird nicht schwieriger, aber es sind alle wieder viel stärker gefordert, ihre Erklärungen intensiver, plausibler und mit stärkerer Orientierungskraft zu vermitteln. Aus meiner Sicht betrifft das alle Parteien. Jenseits der situativen Aktionsweisen, die wir seit geraumer Zeit erleben, müssen die Parteien wieder mehr Erklärungskraft investieren, um dem Wähler klar zu machen, wie sie sich die Zukunft der Gesellschaft vorstellen und was sie dafür tun wollen.

Das heißt: Mehr Profil, mehr große Linie, weniger Aktionismus?

In der Tat. Parteien müssen mehr Profil zeigen, indem sie eine Gesamtinterpretation der Gesellschaft anbieten. Sie müssen wesentlich mehr Kraft dafür aufwenden, die großen Themen zu deuten, Herausforderungen zu definieren und Lösungsangebote zu unterbreiten. Im Moment wird sehr viel Energie für augenblicksorientierte Medienarbeit aufgewendet, aber nicht für die Erklärung der künftigen Entwicklung der Gesellschaft.

In Bayern wird bis zur letzten Minute um jede Stimme gerungen. Warum kommt der Schlussphase eines Wahlkampfes immer größere Bedeutung zu?

Seit etlichen Jahren ist feststellbar, dass Wähler sich immer situativer entscheiden, und damit auch immer später. Ein beachtlicher Prozentsatz der Wähler sagt, er entscheidet sich erst am Sonntag auf dem Weg zum Wahllokal. Also sind auch die Parteien gut beraten, bis zuletzt auf sich aufmerksam zu machen und die Wähler zu überzeugen. Weil sich die Wähler erst so spät entscheiden, werden seit etlichen Jahren auch Vorhersagen immer unschärfer.

Woran orientiert sich der Last-Minute-Wähler? Kaum anzunehmen, dass er sich auf dem Weg ins Wahllokal noch von programmatischen Aussagen beeindrucken lässt.

Da entscheiden ganz unmittelbare Eindrücke. Sei es das letzte Gespräch in der Familie beim Frühstück. Sei es, was der Nachbar einem noch auf der Straße zugerufen hat oder wie man sich von Wahlplakaten angesprochen fühlt. Wahlkämpfe sind Mobilisierungskampagnen und keine Überzeugungsinitiativen. Im Wahlkampf ist die Zahl derer, die sich von einer Überzeugung zu einer anderen bewegen, sehr gering. Wahlkämpfe heben in der Regel darauf ab, die eigenen Anhänger zu mobilisieren, damit die am Wahltag nicht zuhause bleiben.

Nun war der Wahlkampf in Bayern nicht sonderlich spektakulär. Sie haben von einem "themenarmen Wahlkampf" gesprochen. Woran liegt das?

Ich habe das begrenzte Erklärungs-, Deutungspotenzial der Parteien bereits erwähnt. Genau das verursacht diese Themenarmut. Die Parteien heben ab auf relativ begrenzte, kleinere Sachverhalte, die gerade aktuell erscheinen. Sie sagen aber nicht, wie man morgen in dieser Gesellschaft lebt. Man diskutiert bei dieser oder jener Frage über ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger. Aber das sind doch nicht die großen Themen, die die Bevölkerung in Bewegung versetzen, bei denen der Wähler dann in innerer Aufgewühltheit über Alternativen nachdenkt und streitet. Das war nicht gegeben. Deshalb war dieser Wahlkampf sehr undramatisch und gewinnt erst in der Schlussphase eine gewisse Dramatik über die Frage, welche Machtkonstellation in Bayern künftig die Politik prägen wird.

Wie beurteilen Sie den Wahlkampf der Oppositionsparteien? Wer wird am stärksten von der aktuellen Situation profitieren?

Die kleineren Parteien profitieren von der Gesamtstimmungslage. Diese ist nicht nur von der Situation der CSU geprägt, sondern vom gesamten bundespolitischen Klima. Große Koalition fördert kleine Parteien: Das ist ein klarer Erfahrungswert. Nun hat keine der kleineren Parteien in Bayern einen so überwältigenden Wahlkampf geführt, dass mit besonders überraschenden Zugewinnen zu rechnen ist. Sie alle profitieren eher von einer gewissen Zurückhaltung gegenüber den beiden großen Parteien. Auch die SPD wird keinen dramatischen Zugewinn zu feiern haben.

Rechnen Sie mit einem Einzug der Linkspartei in den Bayerischen Landtag?

Das ist im Moment die völlig offene Frage. Bisherige Untersuchungen sehen die Linkspartei eher knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Es gibt aber auch Erhebungen, die sie knapp darüber sehen. Solche Umfragen haben eine Fehlerquote von bis zu drei Prozent. Hinzu kommt, dass bei extremeren Parteien die Befragten vor der Wahl ihre Wahlabsicht in geringerem Maß zum Ausdruck bringen. Insofern ist das wirklich eine offene Frage, die aber große Konsequenzen haben kann. Das Wahlergebnis der Linkspartei kann gewissermaßen über das Ergebnis der CSU entscheiden. Wenn die Linke nicht in den Landtag einzieht, braucht die CSU weniger Stimmen, um die absolute Mehrheit der Sitze zu verteidigen.

Welche Folge hätte ein Verlust der absoluten Mehrheit der CSU für die Bundespolitik?

Die Bayernwahl ist mehr als eine klassische Landtagswahl. Deshalb ist das bundespolitische Interesse so groß. Die CSU hat einen klaren bundespolitischen Anspruch. Wenn sie erheblich Stimmen einbüßt, dann büßt sie auch an Einfluss in der Bundespolitik ein. Dabei wünschen sich die Bayern, dass vom Freistaat aus starker Einfluss auf die Bundesrepublik genommen wird. Bei einem schlechten Abschneiden der CSU würde man zwangsläufig in dieses Dilemma hineinrutschen.

Ein schlechtes Abschneiden der CSU würde sich auf die gesamte Union auswirken.

Die Unionsführung – also auch Frau Merkel – weiß, dass sie bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr nur eine Mehrheitschance haben, wenn die CSU stark abschneidet. Also gibt es dort kein Interesse an einer Einflussschwächung der CSU in bundespolitischer Hinsicht. Hinzu kommt, dass bei einem schlechten Abschneiden der CSU die Mehrheit in der Bundesversammlung für Bundespräsidenten Köhler verloren gehen kann. Und schließlich steht die Europawahl an. Da muss die CSU so viele Stimmen gewinnen, dass sie bundesweit mehr als fünf Prozent hat. Das war beim letzten Mal mit rund acht Prozent gegeben. Würde die CSU jetzt erhebliche Verluste erleiden und würde sich das entsprechend bei der Europawahl wiederholen, hätte die CSU plötzlich keinen Vertreter mehr im Europäischen Parlament. All das zeigt: Der Ausgang der Bayernwahl hat in vielerlei Hinsicht Signalwirkung.


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