Weidenfeld zweifelt an Seehofers Neuanfang

Interview mit Professor Werner Weidenfeld zur Lage der CSU

Fragen: Ralf Müller

03.11.2008 · Straubinger Tagblatt / Landshuter Zeitung



Herr Prof. Weidenfeld, bei der Landtagswahl am 28. September hat die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit verloren. Ist das tatsächlich eine politische "Zeitenwende"?

Weidenfeld: Das Wahlergebnis war mehr als nur ein Debakel für die CSU, sondernAusdruck einer gesellschaftlichenVeränderung in Bayern. Zu beobachten waren eine Pluralisierung der bürgerlichen politischen Strömungen und ein weitreichender Wandel des bisher stabilen politischen Milieus – neben der Kritik an dem Stil, den die mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattete CSU praktiziert hat. Die CSU stellt sich vor, dass man nach diesem "Betriebsunfall" wieder zu den alten Verhältnissen zurückkehrt.

Wie realistisch ist das?

Weidenfeld: Wenn die CSU mit einer gewissen Routine auf dieses Wahlergebnis reagiert, dann macht sie einen schweren Fehler. Was sie seit dem Wahltag gezeigt hat, hat durchaus gewisse Routine-Züge. Es ist eben routinemäßig, wenn eine Partei, die viele Stimmen verliert, in einem Intrigen-Kampf die Führung auswechselt. Das ist passiert. Es ist Routine, wenn eine Partei, die eine Koalition bilden muss, einen Koalitionsvertrag abschließt, der eigentlich keine besonderen Glanzpunkte mit Blick auf ein Zukunftsbild der Gesellschaft aufweist.

Sie erkennen also kein weitertragendes Zukunftskonzept?

Weidenfeld: Auf die Frage, was die große politische Botschaft sei, kam vom neuen Ministerpräsidenten Seehofer die Antwort, er habe das Kabinett verjüngt. Keiner über 60 gehört ihm aus der CSU mehr an. Das ist ja eigentlich eine ziemlich unsinnige Aussage, wenn man näher darüber nachdenkt. Die politische Qualität ist nicht mit dem Alter verbunden. Ein junger Mensch kann ebenso wie ein reiferer über 60 eine großartige Politik machen. Seehofer müsste ja selbst als der Älteste in seinem Kabinett in gut einem halben Jahr zurücktreten, weil er über die Altersgrenze kommt. Das zeigt, wie merkwürdig die Argumentation ist.

Also kein "Neuanfang"?

Weidenfeld: Ein Neuanfang müsste ein programmatischer sein. Davon war bisher keine Rede. Und er muss ein Neuanfang im Stil der gesamten Partei sein. Auch davon war bisher keine Rede. Das Einzige, was ich als neu empfinde, ist ein neuer kommunikativer Stil des Ministerpräsidenten. Die Ereignisse der letzten Wochen haben nicht die Veränderung der politischen Perspektive herbeigeführt, die ja Hauptforderung des Wählers war.

Was bedeutet das bayerische Erdbeben für die CSU im Bund?

Weidenfeld: Für Berlin hat diese Entwicklung zwei Konsequenzen. Quantitativ ist die CSU zwar schwächer geworden. Die CSU weiß, sie muss stärker fordernd mit massiven bayerischen Interessen in Berlin auftreten. Das muss auch öffentlich spürbar sein. Ein hoher Prozentsatz der Bayern meint, die bayerische Position in Berlin müsste kraftvoller vertreten werden. Das wird Seehofer auch betreiben und das wird die Konflikte in Berlin intensivieren. Gleichzeitig weiß Angela Merkel: Nur mit einem sehr starken CSU-Ergebnis wird sie selbst Kanzlerin bleiben.


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