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Bürde oder Chance

Interview mit Josef Janning, Stv. Direktor des C·A·P, zu den EU-Beitrittschancen der Türkei

07.10.2005 · EU-Nachrichten



EU-Nachrichten: Hat Sie das Ergebnis nach dem EU-internen Streit überrascht?

Josef Janning: Nein. Was die Österreicher im Blick auf "priviligierte Partnerschaft" wollten, steht im Grunde schon in der Erklärung vom letzten Dezember, nur dass es nicht ausdrücklich genannt wurde. Das ist aus der Sicht aller, die den Vollbeitritt der Türkei nicht wollen, eben das, was man sich wünscht. Daher war die österreichische Position nicht haltbar.

EU-Nachrichten: Was stand dann hinter dem Widerspruch?

Josef Janning: Ein Stück weit war es sicher Innenpolitik, doch ist das Kalkül nicht aufgegangen. Ein Stück weit war es auch Parteipolitik im europäischen Kontext. Wie die Bildung der EU-Kommission 2004 schon gezeigt hat, interagieren Parteiführer auf europäischer Ebene nun stärker und betonen parteipolitische Präferenzen, was bislang eher schwierig war. Ich sehe in der Türkeipolitik des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel den Versuch, im Kreis der christdemokratischen Partei- und Regierungschefs eine "Sprecherrolle" zu erlangen.

EU-Nachrichten: Nun ist das Tor geöffnet. Was steht uns bevor? Erwarten Sie Impulse?

Josef Janning: Zunächst steht die Strukturierung des Verhandlungsprozesses an. So wird man sicher das vorangeschrittene Thema "Zollunion mit der EU" aufgreifen. Die EU wird die Türkei aufmerksam beobachten, denn auf dem Papier hat sie Zugeständnisse gemacht, die sie wieder relativiert hat, etwa in der Zypernfrage. Die EU wird prüfen müssen, wieweit die Türkei beschlossene Reformen landesweit implementiert, insbesondere im Justiz- und Polizeibereich.

Josef Janning: In der Türkei ist der Beitritt stark zur Prestigefrage geworden, eine Ehrensache. Diese intensive Mischung von Stolz und Beleidigtsein macht allerdings Diskussionen um die Erfüllung von Auflagen sehr schwierig. Dies hat für die EU eine ganz neue Qualität. Zudem geht es in den kommenden zwei Jahren um die Zukunft der Regierung, die die Vollmitgliedschaft als prioritäres Ziel an ihre Fahne heftet. Die Zustimmungsraten werden schwanken und die Öffentlichkeit wird phasenweise viel skeptischer sein. Wir müssen daher abwarten, wie weit die politische Klasse unter schwierigen innenpolitischen Bedingungen ihre Zusagen einhält. Die EU wird Verhandlungen vielleicht aussetzen müssen. Der Ball liegt nun im Feld der Türken.

EU-Nachrichten: Zu den wesentlichen Vorbehalten gehört die Integrierbarkeit einer islamisch geprägten Gesellschaft in die EU – Bürde oder Chance?

Josef Janning: Ich glaube, hier liegt eindeutig eine Chance, allerdings erst, wenn es dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gelingt so etwas wie die "Christdemokraten der Türkei" zu werden. Es kann nicht darum gehen, im Sinne von Atatürk den Islam herunterzureglementieren. Vielmehr muss man den Islam als religiöse Praxis akzeptieren, zugleich aber das säkular organisierte Staatswesen erhalten. Das ist bislang nirgendwo auf der Welt realisiert, aber die Türkei scheint hierfür das Potenzial zu haben. Das wäre zugleich eine europäische Leistung, denn diese Balance herzustellen, ist seit der Aufklärung das Merkmal Europas.

EU-Nachrichten: Wie steht es um rechtsstaatliche Reformen in der Justiz und bei den Menschenrechten?

Josef Janning: Dies ist wohl der schwierigste Part, weil damit auch Themen zusammenhängen, die allgemein nicht verarbeitet sind, vor allem die Minderheitenprobleme. Historisch gesehen ist dies die Armenier-, aktuell die Kurdenfrage. Es wird auf absehbare Zeit schwer fallen, den EU-Menschenrechtsstandard zu realisieren.

EU-Nachrichten: Wie steht es angesichts des Entwicklungsgefälles um die wirtschaftliche Integration?

Josef Janning: Bei den Wirtschaftsreformen hat die Türkei große Fortschritte erzielt, dies ist anzuerkennen. Wenn es ein Äquivalent zu dem Verhältnis Türkei - EU gibt, dann ist es Mexiko - USA.

  1. Beide üben einen enormen demografischen Druck auf den Nachbarn aus.
  2. Es entstehen Parallelgesellschaften, da man sich nicht leicht assimiliert.
  3. In beiden macht die große wirtschaftliche Kluft zu schaffen. Die Chance indes ist der politisch-rechtlich verbundene Raum mit geringen Produktionskosten und verfügbaren Arbeitskräften.

Wenn die kulturellen Barrieren beiderseits aufgebrochen werden, so liegt in dem Abstand der Türkei sogar eine Chance. Sonst wird sie eher zur Bürde. 


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