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Prodi ante portas?

Interview mit Roman Maruhn zum Streik in Italien und zur geplanten Verfassungsreform Berlusconis.

25.11.2005 · derStandard.at



derStandard.at: Heute findet bereits der sechste Generalstreik in der Amtszeit von Berlusconi statt. Welchen Effekt hat diese wiederholte Arbeitsniederlegung noch? Was können die Gewerkschaften gegen das Sparpaket der Regierung ausrichten?

Maruhn: Durch den Generalstreik wird das tägliche Leben der italienischen Bürger tatsächlich massiv beeinträchtigt: Der öffentliche Verkehr mehr oder weniger lahm gelegt. Dadurch wird es in den Städten zu einm Verkehrschaos kommen. Gleichzeitig kann man den heutigen Tag für das Bruttoinlandsprodukt im Großen und Ganzen abschreiben.

Dennoch bleibt der Generalstreik nur ein symbolischer Protest, da die Regierung ihren Sparhaushalt trotzdem umsetzen wird. Der Protest zeugt aber dennoch vom breiten Widerstand gegen die tatsächlich harten Sparmaßnahmen der Regierung.

derStandard.at: Unter dem Titel "addio, dolce vita?" zeichnet der "Economist" ein tristes Bild der italienischen Wirtschaft. Wie ist es dazu gekommen?

Maruhn: Hier muss man in erster Linie die aktuelle Regierung kritisieren, die in nahezu 4 1/2 Jahren Amtszeit keine echte Reformpolitik gemacht hat, auch um nicht den Rückhalt bei den Wählern zu verlieren.

Italien steht ein Strukturwandel bevor, der durch die weltwirtschaftliche Situation, zum Beispiel die Zunahme von Exporten aus China, weiter verschärft wird. Viele der klassischen italienischen Exportgüter sind auf dem Weltmarkt nur noch schwer konkurrenzfähig. Dies trifft vor allem den bisher wirtschaftlich erfolgreichen Norden Italiens. Das alles war absehbar.

derStandard.at: Wie wirkt sich die aktuelle Verfassungsreform auf Italien aus? Wer profitiert, wer nicht?

Maruhn: In erster Linie profitieren die Regionen, die vergleichbar mit den deutschen und österreichischen Bundesländern sind: Sie erhalten mehr Kompetenzen in Fragen der Bildung, der Gesundheitspolitik und der Sicherheit.

Außerdem wird sich das politische System Italiens ändern: Regierung und Ministerpräsident werden durch den Umbau ähnlich dem britischen System gestärkt, der Staatspräsident verliert erheblich an Kompetenzen und auch die Abgeordnetenkammer wird geschwächt. Das heißt, dass die parlamentarische Kontrolle der Regierung eingeschränkt wird. Die zweite Kammer, der Senat, wird zur Vertretung der Regionen.

derStandard.at: Die Opposition hat eine Kampagne zur Abschaffung der Reform gestartet. Welche Chancen hat sie?

Maruhn: Ziel ist ein abrogatives Referendum: Die einmal umgesetzte Verfassungsänderung soll der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Solche Referenden waren in der Vergangenheit häufig erfolgreich, wenn die Wähler auch tatsächlich den Weg an die Urnen gefunden haben.

Hier kommt es darauf an, ob die gegenwärtige Opposition einen ausreichenden Widerstand in der Bevölkerung erzeugen kann. Ich denke, dass die eingeschränkten Rechte des Parlaments unter der Berücksichtigung der besonderen Umstände der Regierung Berlusconi ein gutes Argument gegen die Verfassungsänderung sein könnten.

derStandard.at: Wird das neue Wahlrecht die Wiederwahl von Berlusconi ermöglichen?

Maruhn: Nach aktuellen Umfragen führt die Opposition mit 53 Prozent der Stimmen gegenüber der Regierung, die lediglich auf 44,6 Prozent kommt. Allerdings benachteiligt das neue Wahlrecht besonders die Opposition massiv, da hier Prozent-Hürden kleine Bündnispartner unter Umständen aus dem Parlament heraus halten könnten.

Allgemein wird in Italien ganz offen argumentiert, dass das neue Wahlrecht nicht in erster Linie aus Gründen der Stabilität verabschiedet wurde, sondern um Berlusconi und seine politischen Partner doch noch die Wahlen gewinnen zu lassen, auch wenn die deutliche Mehrheit der Bevölkerung für die Opposition stimmen wird. Das Rennen ist offen.

derStandard.at: Was müsste passieren, damit Romano Prodi an die Regierungsspitze kommt? Wie stehen seine Chancen?

Maruhn: Die Chancen für Romano Prodi stehen trotz des neuen Wahlrechts gut: Er ist nach Vorwahlen der unumstrittene Führer der Opposition, könnte trotz aller Manöver der Regierung in den nächsten Monaten noch an Zustimmung gewinnen, müsste aber dennoch Listenverbindungen bzw. die Bildung größerer Parteien in seinem Bündnis vorantreiben, um die Nachteile aus dem neuen Wahlrecht zu kompensieren.


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