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Zukunftsfähigkeit der EU auf dem Prüfstand: Europäische Identität, Nationalismen und Bürgerbeteiligung

Diskussionsreihe „EUropa forum“ mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld

11.10.2017 · C·A·P



Wohin bewegt sich Europa? Welche Zukunftsperspektiven und aktuellen Herausforderungen gibt es? Wo steht Europa in 30 Jahren? In der Diskussionsreihe EUropa forum zu aktuellen europäischen Themen ging es am 9. Oktober 2017 in der Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig um das Thema: „Zukunftsfähigkeit der EU auf dem Prüfstand: Europäische Identität, Nationalismen und Bürgerbeteiligung“.

Zum EUropa forum hat das Europe Direct Informationszentrum München & Oberbayern in Kooperation mit dem Centrum für angewandte Politikforschung an der LMU München eingeladen. Das interessant besetzte Podium bestand aus Richard Kühnel – Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Berlin, Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld – Centrum für angewandte Politikforschung und John Friedmann – Vertreter von Pulse of Europe, München. Die Moderation hat Anton Tropper von der Landeshauptstadt München übernommen.

Zu Anfang der Podiumsdiskussion ging es um ein Gedankenexperiment, das Timothy Garton Ash zu Beginn dieses Jahres angestellt hat. In diesem gibt er einen Einblick in seine aktuellen Sichtweisen auf Europa. Er vergleicht das Jahr 2005 mit einer von ihm wahrgenommen „Aufbruchstimmung“ in Europa, durch die vollzogene EU-Erweiterung um die Staaten des ehemaligen Ostblocks sowie der Aussicht auf eine Europäische Verfassung; mit dem heutigen krisengeschüttelten Europa durch Brexit, Finanzkrise und den gescheiterten Verfassungsreferenden in den einzelnen Mitgliedsstaaten.

Dem Podium oblag es, diese Sichtweise aufzuarbeiten und die aktuelle Entwicklung Europas analytisch einzuordnen. In der Diskussion wurden die großen Linien der Europäischen Zusammenarbeit als positiv besetzte Bezugspunkte deutlich. Als herausragendes Beispiel wurde die bisherige und künftige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich eingestuft, um in Politikfeldern wie Sicherheit, oder Digitalisierung sowie bei der Umsetzung einer politischen Union voranzuschreiten. Alle drei Aspekte stellen große Herausforderungen für die EU im inneren sowie auch für die Position der EU nach außen und ihrer Rolle in einer globalisierten Welt dar. In der Diskussion wurde dabei deutlich: Neben dem traditionellen Tandem Frankreich-Deutschland bedarf es zunehmend eines Europas der unterschiedlichen Geschwindigkeiten bzw. der differenzierten Integration. Dies ermöglicht es, einerseits flexibler auf die Bedürfnisse einzelner Staaten und deren Identität einzugehen, andererseits macht es Europa sprechfähig, um das durch die USA angesprochene Sicherheitsvakuum in der Weltpolitik aktiver mit- und auszugestalten.

Historisch betrachtet brauchte die EU immer einen Anstoß von außen, um eine einheitliche und dadurch starke Stimme zu bilden bzw. lösungs- sowie konsensorientiert zu handeln. Die aktuellen Krisen lassen sich jedoch nicht in dieses „Ablaufschema“ bringen. Vielmehr wird unter anderem durch Initiativen wie Pulse of Europe deutlich, dass viele Menschen in der EU grundsätzlichere Fragestellungen nach der Identität der EU und deren Vermittlung stellen. So bestimmt nicht die zunehmende Komplexität tagespolitischer Probleme den Diskurs, sondern es steht die Sinnfrage der EU zur Disposition. Hierbei war sich das Podium einig: Die Identitätsfrage – das Gefühl der Heimat – lässt sich nicht künstlich erzeugen, es muss besser artikuliert werden. Dafür sind Machtstrukturen und Deutungsmuster innerhalb der EU beispielsweise zwischen Parlament und Kommission oder die Rolle des Ausschusses der Regionen zu analysieren und besser in der Europäischen Öffentlichkeit – über die Sprachbarrieren hinweg – zu vermitteln. Ziel einer neuen ´Europäisierung´ ist dabei nicht die Aufgabe oder Abgabe nationaler Identitäten und Machtstrukturen, sondern der Hinzugewinn von Handlungsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung.

Am Ende einer differenzierten Diskussion über die unterschiedlichen Themen und Wege für ein zukunftsfähiges Europa, teilen die Diskutanten auf dem Podium den Optimismus, dass Europa auch in den kommenden Jahrzehnten ein starker Akteur der Weltpolitik ist und im Inneren eine Einheit besteht, die durch eine Vielfalt an identitätsstiftenden Merkmalen und gemeinsamen Werten gekennzeichnet ist.


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