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Nachhaltiges Regieren in einer globalisierten Welt

OECD-Vergleichsstudie des C·A·P vorgestellt:
Sustainable Governance Indicators 2009

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Sustainable Governance Indicators 2009. Policy Performance and Executive Capacity in the OECD, Gütersloh 2009, 244 S., brosch., 30,– EUR, ISBN 978-3-86793-013-0.

01.04.2009 · C·A·P



Weltweit stehen die Staaten vor enormen Herausforderungen: wirtschaftliche Globalisierung und knapper werdende Ressourcen, Umweltverschmutzung und Klimawandel, demographische Veränderungen mit ihren Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme sowie die Gefahren durch den internationalen Terrorismus sind Probleme, die die Zukunftsfähigkeit vieler Länder bedrohen. Zugleich haben sich die Rahmenbedingungen, unter denen politische Entscheidungen auf nationaler und internationaler Ebene getroffen werden, in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Neue Akteure wie Nichtregierungsorganisationen oder supranationale Institutionen sowie informelle Strukturen verändern den Gestaltungsspielraum der einzelstaatlichen Regierungen und begrenzen deren Entscheidungskompetenzen nachhaltig.

Dennoch bleiben die nationalen Exekutiven auf längere Sicht die zentralen politischen Akteure – beim globalen Regieren wie auch auf staatlicher Ebene. Die Sustainable Governance Indicators (SGI), die vom Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung entwickelt wurden, nehmen daher die Regierungen der 30 OECD-Staaten in den Blick und untersuchen, wie gut diese auf bestehende und kommende Herausforderungen vorbereitet sind und welche strukturellen Voraussetzungen sie befähigen, die langfristig gesehen richtigen Entscheidungen zu treffen. Dabei sollen die SGI die wichtigsten Faktoren für nachhaltiges Regieren identifizieren und somit wiederum politische Lernprozesse in den analysierten Staaten anstoßen, um deren exekutive Entscheidungsstrukturen und -verfahren zu verbessern.


Jacques Santer, ehemaliger Präsident der EU-Kommission, bei der Vorstellung der SGI am 27.02.2009 in Berlin

Die Studie wurde kürzlich auf zwei Tagungen in der Berliner Bertelsmann Repräsentanz und der Bayerischen Landesvertretung bei der Europäischen Union in Brüssel vorgestellt, wobei die Untersuchungsergebnisse unter den anwesenden Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Verwaltung auf reges Interesse stießen. Jacques Santer, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission und Hauptredner bei der Konferenz in Berlin, unterstrich die Bedeutung der SGI als "eine wesentliche Hilfsleistung für alle Entscheidungsträger in unserer modernen wissensbasierten Gesellschaft."


Präsentation der SGI am 27.02.2009 in Berlin: Andrea Kuhn, Daniel Schraad-Tischler, Dr. Leonard Novy (alle Bertelsmann Stiftung) und Dr. Martin Brusis (C·A·P) (v.l.n.r.)


Kim Campbell, ehemalige Premierministerin Kanadas, bei der SGI-Vorstellung am 31.03.2009 in Brüssel

Die SGI bestehen aus zwei Teilindizes, dem Status und dem Management Index, in denen die Einzeldaten für jedes der 30 untersuchten Länder zusammenfließen. Der Status Index bewertet dabei die erzielten Politikergebnisse in zwei Dimensionen: Untersucht wird zum einen die Qualität der demokratischen Ordnung, zum anderen das politische, wirtschaftliche und soziale Leistungsniveau des jeweiligen Staates. Hierbei wird neben sozioökonomischen Basisdaten auch die Performanz in 13 ausgewählten Politikfeldern berücksichtigt, die für die Zukunftsfähigkeit eines Landes als besonders wichtig eingeschätzt werden. Demgegenüber bildet der Management Index die jeweilige Regierungsführung in den OECD-Staaten ab. Auch er umfasst zwei Dimensionen. Einerseits wird die Exekutivkapazität analysiert, worunter Aspekte wie die Fähigkeit zur Politikformulierung, -durchsetzung und zum institutionellen Lernen fallen. Andererseits berücksichtigt der Management Index die so genannte Beteiligungskompetenz, also die Einbeziehung von Akteuren jenseits der Kernexekutive (zum Beispiel von Parlamenten, Verbänden oder Bürgern) in den politischen Entscheidungsprozess, den sie durch ihre Kontroll- und Informationsleistungen stärken können.

Der Ansatz der SGI folgt somit der bewährten Methodik des Transformation Index der Bertelsmann Stiftung (BTI), der seit 2003 den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt von über 125 Entwicklungs- und Transformationsländern untersucht und ebenfalls vom Centrum für angewandte Politikforschung entwickelt wurde. Wie dieser, so werden auch die SGI künftig alle zwei Jahre veröffentlicht, um aktuelle Veränderungen rasch zu erfassen.

Der Untersuchungszeitraum der gerade erschienenen SGI 2009 berücksichtigt die Zeitspanne von Januar 2005 bis März 2007, für die insgesamt 149 Einzelindikatoren erhoben wurden. Dabei handelt es sich um quantitative Daten sowie um qualitative Bewertungen durch drei Experten je Untersuchungsland, die insgesamt mehr als dreieinhalbtausend Gutachtenseiten umfassen. In dieser Datenfülle liegt der besondere Wert der SGI: Sie sind weitaus mehr als nur ein Länderranking unter vielen, denn sie bieten detaillierte Informationen zu den 30 OECD-Staaten, die über eine benutzerfreundliche Internetseite unter www.sgi-network.org allen Interessenten zur Verfügung stehen.


Dr. Martin Brusis (C·A·P) erläutert die Methodik des SGI vor EU-Vertretern in Brüssel.

Damit eröffnen die SGI zahlreiche Ansätze für vertiefende und ergänzende Analysen, um beispielsweise differenzierte Stärken- und Schwächen-Profile einzelner Länder zu erstellen oder durch die Untersuchung bestimmter Indikatoren und deren Wirkungsweise konkrete Anhaltspunkte für Praktiken guten Regierens zu gewinnen. In einer zeitgleich mit den SGI publizierten Sonderstudie hat etwa Professor Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung den Zusammenhang zwischen verschiedenen Aspekten des politischen Systems und sozialer Gerechtigkeit untersucht – mit dem Ergebnis, dass vor allem die Demokratiequalität einen positiven Effekt auf das Niveau sozialer Gerechtigkeit ausübt (vgl. den Beitrag von Merkel/Giebler in der Buchpublikation zu den SGI).

Die Befunde, die die SGI zutage gefördert haben, können der Debatte zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands neue Impulse geben. Zunächst zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass die nationalen Rahmenbedingungen des Regierungshandelns einen deutlichen Einfluss auf die erzielten Politikergebnisse in den OECD-Staaten ausüben. Zwischen beiden Teilindizes besteht eine starke Korrelation, was die Hypothese stützt, dass angemessene strukturelle Voraussetzungen der Regierungsführung maßgeblich zu nachhaltigen Resultaten in wichtigen Politikfeldern führen.

Sowohl der Status als auch der Management Index werden demzufolge von einer Gruppe besonders erfolgreicher Länder angeführt, zu denen unter anderem die nordischen Staaten und Neuseeland zählen. Ihnen gemeinsam ist, dass ihre Regierungen über ausgeprägte Mechanismen der Selbstbeobachtung und des institutionellen Lernens verfügen. Damit sind diese Länder in der Lage, ihre Regierungsstrukturen und Entscheidungsprozesse kontinuierlich und planvoll den sich wandelnden Rahmenbedingungen und Herausforderungen anzupassen, statt institutionelle Veränderungen wie in Deutschland primär an bürokratischen Eigenlogiken oder politischen Proporzaspekten auszurichten. Darüber hinaus unterstreichen die SGI die Bedeutung einer frühzeitigen und breit angelegten Beteiligung von gesellschaftlichen und politischen Akteuren außerhalb der Exekutive. Wenn Parlamente, Parteien, Verbände, einzelne Bürger und die Medien in den politischen Entscheidungsprozess der Regierungen einbezogen werden, erweitern sie deren Wissensbasis deutlich, was wiederum zu besser fundierten, akzeptierten und langfristig wirkenden Politikergebnissen führt. Und schließlich belegen die SGI den großen Einfluss demokratisch-rechtsstaatlicher Standards auf das politische und wirtschaftliche Leistungsniveau eines Landes. Die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erweist sich damit offenkundig als geeigneter Ansatzpunkt, um auch die Performanz in vielen Politikfeldern sowie die ökonomische Erfolgsbilanz zu verbessern.

Deutschland belegt in dieser Vergleichsstudie einen Platz im Mittelfeld – es ist damit für die Globalisierung durchaus gut gerüstet, muss aber noch deutliche Anstrengungen unternehmen, um seine Zukunftsfähigkeit langfristig nicht aufs Spiel zu setzen. Besonders augenfällig wird dies beim Vergleich der Platzierung in beiden Teilindizes. Im Status Index kommt Deutsch-land auf einen guten 10. Platz, was seine bislang erzielten Leistungen in den untersuchten Politikfeldern sowie hinsichtlich der Demokratiequalität belegt. Sehr gut schneidet es übrigens in der Forschungs- und Entwicklungspolitik sowie in der Umweltpolitik ab. Demgegenüber findet sich Deutschland im Management Index jedoch nur auf dem 15. Platz wieder. Dies deutet auf die institutionellen Schwächen der strategischen Regierungsführung hin und unterstreicht, dass in Deutschland auf lange Sicht die Befähigung zur nachhaltigen Politikgestaltung gefährdet ist.

Links

Projektseite: www.sgi-network.org

PDF-Download der Begleitbroschüre

Powerpoint-Download: Beispielgrafiken SGI
(Quelle: Bertelsmann Stiftung)

SGI in der Presse:

Welt (30.03.2009):
Wann ist eine Regierung eigentlich gut?

Spiegel-Online (24.02.2009):
Deutschland ist für die Globalisierung gut gerüstet

Süddeutsche Zeitung (24.02.2009):
Kompliziert und wenig lernfähig

Welt (25.02.2009):
Studie: Deutschland für die Globalisierung gut aufgestellt

Tagesspiegel (25.02.2009):
Deutschland ist fit für die Globalisierung

Luxemburger Wort (16.03.2009):
Zwischen Reformbedarf und Reformfähigkeit


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