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Am Puls der Wissenschaft: Studierende und Experten diskutierten Fragen des "Regierens in den Ländern"

Seminar in Wildbad Kreuth

29.06.2009 · Forschungsgruppe Deutschland



Wie wird in den Bundesländern regiert? Kann von einer "Ministerpräsidentendemokratie" die Rede sein? Wie wirken sich Entwicklungen - beispielsweise im Parteiensystem und den Medien - auf die formalen und informalen Strukturmerkmale der Entscheidungsprozesse von Landespolitik aus? Inwieweit bedingen sich Landes- und Bundespolitik?

Fragen wie diese standen im Mittelpunkt eines gemeinsamen Hauptseminars der Ludwig-Maximilians-Universität München (Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld / Dr. Michael Weigl) und der Universität Tübingen (Prof. Dr. Josef Schmid / Dr. Udo Zolleis). Mit Unterstützung des Bildungswerkes der Hanns-Seidel-Stiftung (Karl Heinz Keil) erörterten die Studierenden im Bildungszentrum Wildbad Kreuth zusammen mit ausgewiesenen Wissenschaftlern, Politikern und Experten in vergleichender Perspektive Aspekte des Regierens in den Ländern.


Prof. Werner Weidenfeld im Gespräch mit Prof. Josef Schmid (Mitte) und Dr. Thomas Goppel (rechts).

Wie sehr der bundesdeutsche Föderalismus auch alle Fragen von Landespolitik berührt, arbeiteten alle Referenten gleichermaßen heraus. Prof. Dr. Markus Karp (Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Wolfsburg AG) berichtete aus seiner Zeit als CDU-Wahlkampfmanager im niedersächsischen Landtagswahlkampf 2003 und legte dar, welche besonderen Bedingungen bei der Planung und Durchführung von Wahlkämpfen auf Landesebene zu beachten sind. Dr. Klaus Gotto (dimap consults, Unternehmensberater und freier Publizist) stellte anhand umfangreicher demoskopischer Analysen unter anderem den Einfluss bundespolitischer Faktoren auf Landtagswahlkämpfe heraus. Einig waren sich beide Referenten darin, dass Wahlkämpfe in den Ländern häufig von bundespolitischen Themen und Faktoren überlagert und entschieden werden. Gleichwohl konstatierte Christian Deutschländer (Landtagskorrespondent Münchner Merkur) aktuell eine Re-Vitalisierung der Landespolitik. So hätten beispielsweise sowohl der Sturz Edmund Stoibers 2007 als auch die Niederlage der CSU bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst 2008 landespolitische Ursachen gehabt.

Einblicke in das Zusammenspiel von Politik und Medien in der Landespolitik gaben Annette Ramelsberger (Leiterin des Bayernressorts der Süddeutschen Zeitung) und Andreas Bachmann (Landtagskorrespondent des Bayerischen Rundfunks). Deutlich wurde dabei, dass sich auch die überregionale Presse und der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht den Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie entziehen können. Gleichwohl gab es Unterschiede in der Bewertung, welches Medium das wichtigste auf Ebene der Länder sei. Während Markus Karp zuvor die Bedeutung der Bild-Zeitung betont hatte, unterstrich Annette Ramelsberger die große Wirkung der Qualitätsmedien. Beide, Ramelsberger wie Bachmann, verdeutlichten den massiven Einfluss, den die Medien auf Landespolitik nehmen könnten, und auch Dr. Andreas Kießling (Leiter Strategieprojekte E.ON Energie AG) betonte aus seiner Perspektive eines Lobbyisten für einen großen Energiekonzern, dass für Unternehmen zwar der Bund und Brüssel entscheidende Arenen der Einflussnahmen seien. Gleichwohl dürften die Lobbyarbeit auf Ländereben nicht unterschätzt werden. Laut Kießling gibt es drei Arten von Lobbying: Legislativlobbying (in Bezug auf die Länder vor allem durch den Bundesrat relevant), Beschäftigungslobbying und das für die Landesebene zentrale Projektlobbying. Auf Ebene der Bundesländer spiele außerdem die allgemeine Kontaktpflege zu Akteuren in Politik und Bürokratie eine wichtige Rolle.


Die Tagungsteilnehmer aus München und Tübingen.

Martin Neumeyer (Ministerialdirektor für Bundes- und Europaangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei) zeigte sich davon überzeugt, dass politische Planung auch in Ländern unabdingbar sei. Solche Planung ist für ihn gekennzeichnet durch die Auswahl der politischen Ziele und Mittel einerseits und die Vermittlung von Politik an die Bürger und der demokratischen Rückkopplung andererseits. Matthias Gille (Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung) betonte, dass politische Steuerung und Planung nur dann Erfolg haben könne, wenn sie stetig evaluiert und hinterfragt würde. Beispiele für politische Planung in den Ländern sind für ihn die Projekte "Wachsende Stadt Hamburg" und "Sachsen 2020". Dass politische Strategien in Ländern trotz ähnlicher Rahmenbedingungen ganz unterschiedlich ausfallen können, untermauerte Prof. Dr. Josef Schmid am Beispiel der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Die Länder verfolgten unterschiedliche Philosophien in der Arbeitsmarktpolitik, die bei einem oberflächlichen Vergleich der Länderzahlen zu Verzerrungen führen könnten. Um Stärken und Schwächen der Länder aufzudecken, sei es vielmehr notwendig, detaillierte Einblicke in deren Arbeitsmarktpolitiken zu gewinnen, wobei deren zuweilen überraschende Ergebnis häufig von der Politik mit Skepsis betrachtet würden. 

Die grundsätzliche Frage, welche Handlungsspielräume die Länder heute angesichts von EU-Integration und nationaler Reformen (z.B. Föderalismusreform II) noch hätten, beantworteten die Experten und Akteure ganz unterschiedlich. Staatsminister a.D. Dr. Thomas Goppel unterstrich im Besonderen die große Bedeutung von Personen für politische Entscheidungen und Strategien im Land einerseits und die Stärke der Länder im Bund andererseits. So könnten auch primär landespolitische Akteure bundespolitisches Gewicht erlangen, wenn sie sich als solche verstünden, in Berlin Präsenz zeigten und dort die Netzwerkarbeit – beispielsweise im Rahmen der Landesvertretungen als Kontaktbörsen – pflegten. Gleichwohl kommt den Ländern im Berliner Alltagsgeschäft nur indirekt Bedeutung zu, wie Daniel Kopp (Universität Tübingen) und Vito Cecere (Referatsleiter im Koordinierungsstab des Auswärtigen Amtes) ausführten. Im Bundestag erlangten die Länder nach Kopp vor allem Einfluss durch die Besetzung der verschiedenen Ämter, bei deren Besetzung innerhalb der Fraktionen der regionale Proporz eine große Rolle spiele. Vito Cecere, unterstrich, dass das Mindestmaß an politischer Planung, welche für strategiefähiges Regieren notwendig sei, in den Berliner Fraktionen und Ministerien eher am Tagesgeschäft und mittelfristig ausgerichtet sei. Der Einfluss der Länder könne hier vor allem an ihren Möglichkeiten der Intervention gemessen werden, wobei in der aktuellen Großen Koalition die unionsregierten Länder Vorteile gegenüber den SPD-geführten Ländern hätten. Prof. Dr. Frank Decker (Professor am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn) schließlich konstatierte, dass die regionale Ebene, also auch die deutschen Länder, umso bedeutender werde, je mehr die EU als supranationale Ebene auf Kosten der nationalen Ebene an Gesetzgebungszuständigkeiten gewinne. Zudem fallen laut Decker die Länder als "Testlabor" für Koalitionsbildungen im Bund in Zukunft immer mehr aus, da der Bundesrat zunehmend von gemischten Koalitionen dominiert werde. Auch die Einführung der relativen Mehrheit im Bundesrat würde das Problem nicht lösen, vielmehr müssten die neutralen Stimmen künftig als "Nicht-Veto-Stimmen" gewertet werden.

Insgesamt, so machte die Tagung deutlich, sind viele Prozesse des Regierens auf Landesebene bislang noch zu wenig untersucht, als dass hier gesicherte und empirisch hinlänglich untermauerte Erkenntnisse vorliegen würden. Die Wissenschaft, welche sich erst seit wenigen Jahren solchen Fragen intensiv widmet, steht hier noch Am Anfang. Das Hauptseminar "Regieren in Ländern" gab wichtige Antworten und wichtige Impulse für die weitere Forschungsarbeit.


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