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Auf dem Weg zu einem kollektiven Sicherheitssystem?

NATO-Workshop am C·A·P

Rechts: Dr. Knut Kirste von der NATO bei seinem Vortrag im C·A·P.

20.12.2004 · Forschungsgruppe Europa



Im Rahmen eines in Kooperation mit der NATO organisierten Workshops am C·A·P wurden am 1. Dezember 2004 die Herausforderungen für NATO und EU erörtert, die sich aus der Erweiterung beider Organisationen und der neuen geopolitischen Situation ergeben haben. Die rund 30 Teilnehmer diskutierten dabei auch und vor allem über eine mögliche strategische Partnerschaft der USA mit Europa im Rahmen eines neu formulierten sicherheitspolitischen Dialogforums zwischen der EU und einer reformierten Nordatlantischen Allianz.


Diskussion im Plenum, Jürgen Turek bei seinem Vortrag.

Nach einleitenden Informationen von Jürgen Turek, Geschäftsführer des C·A·P, und Dr. Knut Kirste, Information and Liaison Officer im Nato-Hauptquartier in Brüssel, über die Ausgangslage und die Zielrichtung der Veranstaltung, wurde in drei aufeinander folgenden Arbeitsrunden der Frage nach einem kollektiven Sicherheitssystem nachgegangen.

Herausforderungen für NATO und EU

Hans Bernhard Weisserth, Leiter der ESVP-Task-Force im politischen Stab, und Dr. Walther Stützle, Staatssekretär a.D. im Verteidigungsministerium, referierten unter dem Vorsitz von Franco Algieri (C·A·P) über die "die großen Herausforderungen für NATO und EU nach der Erweiterung". In diesem Zusammenhang beschrieb Hans Bernhard Weisserth die Jahre 2003 und 2004 als Schlüsseljahre für die fortschrittliche Entwicklung der GASP bzw. der ESVP. Hierbei denke er besonders an die Europäische Sicherheitsstrategie, die Übernahme operativer Verantwortung von Seiten der EU, den Fortschritt der Kooperation von EU und NATO, sowie die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der EU.

Die ESVP, so Weisserth schreite mit "Lichtgeschwindigkeit" voran. In diesem Zusammenhang verwies er auf die neu eingeführten "battle groups" sowie fünf weitreichende Neuerungen im Verfassungsvertrag der EU: Die Einführung des EU-Außenministers und des Europäischen Auswärtigen Dienstes, die Solidaritätsklausel, die Europäische Verteidigungsagentur sowie die Permanente Strukturierte Zusammenarbeit.


Dr. Walther Stützle und Bernd Weisserth

Die zentralen Probleme der ESVP, so Weisserth, seien gleichzeitig deren Herausforderung. In Zukunft gelte es Ressourcen besser zu nutzen und die Arbeitsteilung innerhalb der ESVP auszubauen. Gerade da Letzteres aufgrund der damit verbundenen Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte ein sehr sensibles Thema sei, ließen sich die genannten Probleme nur durch integrative Schritte und etablierte Instrumente leisten. Die Permanente Strukturierte Zusammenarbeit sei in diesem Sinne das ideale Rahmenwerk. Vor allem im Konzept der "battle groups" sah Weisserth die Möglichkeit auch kleinere Staaten militärisch zu integrieren.

Diese Entwicklung müsse im europäischen Rahmen stattfinden, wobei sich NATO und EU ergänzen sollten. Grundlegend gelte es die transatlantischen Beziehungen, die auch in der Europäischen Sicherheitsstrategie als unverzichtbar angesehen werden, in Richtung einer "balanced partnership" weiterzuentwickeln.

Auch Dr. Walther Stützle betonte in seinem Vortrag, dass die atlantische Allianz ein kostbares Gut sei, das es zu bewahren und erneuern gelte. Dabei dürfe die aktuelle Krise, die sich an der Kernfrage von Krieg und Frieden entzündet habe, nicht ignoriert werden. Vielmehr komme es darauf an die Allianz auf der Grundlage von gemeinsamen politischen Konzepten und politischem Konsens neu zu entwickeln. Dabei sei jedoch der Mangel an strategischer Handlungsfähigkeit Europas größte Schwäche. Es würden zu viele Investitionsmittel durch ineffiziente Nutzung der Verteidigungsetats im Rahmen einer "kostspieligen Kleinstaaterei" verschwendet werden. Der Verfassungsvertrag, so Stützle, biete der EU die Chance einen wesentlichen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Eine Neubegründung der atlantischen Allianz sei nur dann möglich, wenn die EU als handlungsfähiger Gründerpartner agiere. Hierzu müsse sie jedoch ihre Identität als Sicherheitsakteur steigern.

"Rethinking NATO"

Ambitioniertes Ziel des zweiten Panels war es, die NATO "neu zu denken". Unter dem Vorsitz von Simone Dietrich (C·A·P) legte zunächst Dr. Karl-Heinz Kamp von der Konrad-Adenauer-Stiftung die aktuellen Trends und Hauptprobleme der NATO sowie mögliche Lösungsansätze dar. Die NATO sei zum global Sicherheitsakteur geworden, der zunehmend die Interessenlage der USA widerspiegle. Kernproblem der NATO sei nicht nur die fehlende Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder, sondern vor allem auch die Tatsache, dass die NATO ihre Stellung als Konsensorgan nicht erfüllen könne. Zeitgerechte Strategieentwürfe und Konsultationen im Vorfeld von Bedrohungen müssten daher für eine Wiedergewinnung der politischen Rolle der NATO verstärkt weiter entwickelt werden.

Knut Kirste stellte zu diesem Thema vier Denkansätze in den Mittelpunkt. Umdenken müsse die NATO im Bereich der Verteidigungsplanung und der Ressourcenbereitstellung von Seiten der Mitgliedstaaten. Auch in der Finanzierung müsse sich die NATO weiter entwickeln hin zu einem "common finance". Zuletzt betonte Kirste, dass die NATO sich davon distanzieren müsse bloßes Exekutivorgan anderer Organisationen zu sein und ihre politische Rolle in der Welt unterstreichen müsse. Dabei verwies er auch auf die bereits in Angriff genommenen Reformbemühungen der NATO im Bereich "global force generation", sowie der Flexibilisierungsbemühungen, die die Handlungsbereitschaft der Allianz bei gleichzeitigem "opting-out" eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Aufrecht erhalten soll.

Über die Verfassung zur ESVU?

"Von der ESVP zur ESVU" - unter diesem Motto führte Janis Emmanouilidis (C·A·P) in die letzte Arbeitsrunde. Die Diskussion um die Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion, sei schon in der Vergangenheit einige Male geführt worden, wie Franco Algieri in seinem Vortrag erinnerte. Wenn überhaupt könne die ESVU nur im kleineren Staatenkreis funktionieren. Die Möglichkeit dieser Gruppenbildung sei bereits beim Vertrag von Nizza angedacht gewesen, und ist nun im Verfassungsvertrag weiter ausgebaut worden. Jene Staaten, die an diesen Gruppen teilnehmen, so Algieri, hätten zukünftig Prägekraft und würden den Fortgang des Integrationsprozesses maßgeblich beeinflussen. Fraglich sei jedoch, ob das Konzept eines Kerneuropas im Bereich der ESVP zukunftsfähig sei. Dieses, so Algieri, würde für die an einer solchen Gruppenbildung nicht teilnehmenden Staaten, eine gewisse Drohkulisse aufbauen und "Angstpositionen" hervorrufen.

Auch Ulrike Guérot, Direktorin der Abteilung Außenpolitik-Europa des German-Marshall-Funds, teilte die Meinung, dass ein Kerneuropa in diesem Fall keine Magnetfunktion ausüben, sondern viel mehr zur Spaltung führen würde. Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung wies in seinem abschließenden Kommentar auf den fundamentalen Unterschied der amerikanischen und der europäischen Sicherheitsstrategie hin. Während die Amerikaner in ihrer Sicherheitsstrategie stets konkrete Ziele anstreben würden und nach der Attitüde "hands on" handelten, gäben sich die Europäer oftmals mit Visionen zufrieden.

Zum Grundtenor des Workshops rund um die Perspektiven für Reformen und Entwicklungen in NATO und EU, wurde die Meinung, dass die EU ihre Identitätsfindung und die Bestimmung ihrer Rolle in der Welt vorantreiben müsse. Die Europäische Integration jedoch dürfe nicht zu Lasten der NATO voranschreiten. NATO und EU sollten sich nicht länger gegenseitig als Konkurrenten empfinden: Die EU dürfe nicht durch eine Abwertung der NATO in den Kreis der Sicherheitsakteure aufsteigen. Der Sinn einer strategischen Partnerschaft könne sich nur aus einer Wiederbelebung des transatlantischen Sicherheitsdialogs erfüllen, in dem die USA und Europa über ein Konsultationsforum, sei es eine reformierte NATO oder eine völlig neue Konstruktion, gemeinsame Strategien und Handlungskonzeptionen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erarbeiten können.


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